O Eines konnt' es, ein mächtiges warmes, das mütterliche: "stürze dich nur aus der Erde -- sagte "sein Gewissen -- dann stirbt dir deine Mutter voll "Liebe nach und tritt in der zweiten Welt vor dich "mit so vielen Thränen, mit allen heissen Wunden "und sagt: Sohn, dieser Schmerz ist dein Werk!" -- Er gehorchte und sah ein, wenn es edel ist, für eine Geliebte zu sterben, so sei es noch edler für eine Mutter zu leben.
Daher beschloß er, noch heute Abends -- Abends, damit die Nacht sich vor einige verwit¬ ternde Ruinen der bessern Zeit, vor einige vorüber¬ ziehende Nachtleichen der Erinnerung stellte -- nach St. Lüne zu gehen, seine Mutter zu rufen und ihr müdes sieches Herz wenigstens mit Einer Freudenblume zu stärken und ihr -- da ihn kein Eid mehr band -- zu sagen: Du giebst mir jetzt zum zweitenmal das Leben. Wie wohl wurd' ihm! -- Ein einziger guter Vorsatz bettet und lüftet das scharfe Siechbette und Krankensopha eines zerrisse¬ nen Lebens.
Aber am Abende, ihr guten Bedrängten, am Abende -- nicht des Lebens sondern -- des 21 Ok¬ tobers wird euch leichter und frischer werden und die Kugel euerer Fortuna wird sich aus der Wetter¬ [s]eite in die Sommerseite drehen!
Abends kam Viktor in St. Lüne an, und hüllte
O Eines konnt' es, ein maͤchtiges warmes, das muͤtterliche: »ſtuͤrze dich nur aus der Erde — ſagte »ſein Gewiſſen — dann ſtirbt dir deine Mutter voll »Liebe nach und tritt in der zweiten Welt vor dich »mit ſo vielen Thraͤnen, mit allen heiſſen Wunden »und ſagt: Sohn, dieſer Schmerz iſt dein Werk!« — Er gehorchte und ſah ein, wenn es edel iſt, fuͤr eine Geliebte zu ſterben, ſo ſei es noch edler fuͤr eine Mutter zu leben.
Daher beſchloß er, noch heute Abends — Abends, damit die Nacht ſich vor einige verwit¬ ternde Ruinen der beſſern Zeit, vor einige voruͤber¬ ziehende Nachtleichen der Erinnerung ſtellte — nach St. Luͤne zu gehen, ſeine Mutter zu rufen und ihr muͤdes ſieches Herz wenigſtens mit Einer Freudenblume zu ſtaͤrken und ihr — da ihn kein Eid mehr band — zu ſagen: Du giebſt mir jetzt zum zweitenmal das Leben. Wie wohl wurd' ihm! — Ein einziger guter Vorſatz bettet und luͤftet das ſcharfe Siechbette und Krankenſopha eines zerriſſe¬ nen Lebens.
Aber am Abende, ihr guten Bedraͤngten, am Abende — nicht des Lebens ſondern — des 21 Ok¬ tobers wird euch leichter und friſcher werden und die Kugel euerer Fortuna wird ſich aus der Wetter¬ [ſ]eite in die Sommerſeite drehen!
Abends kam Viktor in St. Luͤne an, und huͤllte
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O Eines konnt' es, ein maͤchtiges warmes, das
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»Liebe nach und tritt in der zweiten Welt vor dich
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»und ſagt: Sohn, dieſer Schmerz iſt dein Werk!«
— Er gehorchte und ſah ein, wenn es edel iſt, fuͤr
eine Geliebte zu ſterben, ſo ſei es noch edler fuͤr
eine Mutter zu leben.
Daher beſchloß er, noch heute Abends —
Abends, damit die Nacht ſich vor einige verwit¬
ternde Ruinen der beſſern Zeit, vor einige voruͤber¬
ziehende Nachtleichen der Erinnerung ſtellte —
nach St. Luͤne zu gehen, ſeine Mutter zu rufen
und ihr muͤdes ſieches Herz wenigſtens mit Einer
Freudenblume zu ſtaͤrken und ihr — da ihn kein Eid
mehr band — zu ſagen: Du giebſt mir jetzt zum
zweitenmal das Leben. Wie wohl wurd' ihm! —
Ein einziger guter Vorſatz bettet und luͤftet das
ſcharfe Siechbette und Krankenſopha eines zerriſſe¬
nen Lebens.
Aber am Abende, ihr guten Bedraͤngten, am
Abende — nicht des Lebens ſondern — des 21 Ok¬
tobers wird euch leichter und friſcher werden und
die Kugel euerer Fortuna wird ſich aus der Wetter¬
ſeite in die Sommerſeite drehen!
Abends kam Viktor in St. Luͤne an, und huͤllte
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/406>, abgerufen am 22.11.2024.
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