Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

thieus Dienstfertigkeit, als wenn er das Zischen
und den Kugelpfif des herabschiessenden Stoßvogels
vernähme, der bisher unverrückt gleichsam mit ange¬
nageltem Fittich hoch im Blauen über dem Raub
geruhet hatte. -- Verarget es dem Doktor nicht
gar zu sehr, daß ihn die verlorne Gelegenheit kränk¬
te, seinen Freund aus dem engen Gefängniß und
sich aus dem weiten des Lebens los zu machen. Denn
er hat zu viel verloren und ist zu einsam: die Men¬
schen kommen ihm wie die Leute in dem polnischen
Steinsalzbergwerk vor, die herumtappen mit einem
an dem Kopf gebundnen Licht, das sie ein Ich
nennen, vom genußlosen Blinken des Salzes um¬
zingelt, weis gekleidet und mit rothen Binden, als
wären es Aderlaßbinden -- Die Sprache seiner Be¬
kannten ist wie die der Sineser, einsylbig -- Er
muß dem erniedrigenden Tag entgegen leben, wo
Jenner und die Stadt die Niedrigkeit seines Stan¬
des ihm zum Betrug anrechnen. -- Vor jedem
Auge steht er in einem andern Lichte oder Schatten
vielmehr, Matthieu hält ihn für grob, Jenner für
intriguant, die Weiber für tändelnd, so wie Ema¬
nuel für fromm und Klotilde für zu warm -- denn
jeder vernimmt an einem vollstimmig besetzten
Menschen nur sein Echo. Welches Herz konnt' ihn
nun noch bewegen -- seines ohnehin nicht -- das
Ruder im Sklavenschiff des Lebens länger zu halten?

thieus Dienſtfertigkeit, als wenn er das Ziſchen
und den Kugelpfif des herabſchieſſenden Stoßvogels
vernaͤhme, der bisher unverruͤckt gleichſam mit ange¬
nageltem Fittich hoch im Blauen uͤber dem Raub
geruhet hatte. — Verarget es dem Doktor nicht
gar zu ſehr, daß ihn die verlorne Gelegenheit kraͤnk¬
te, ſeinen Freund aus dem engen Gefaͤngniß und
ſich aus dem weiten des Lebens los zu machen. Denn
er hat zu viel verloren und iſt zu einſam: die Men¬
ſchen kommen ihm wie die Leute in dem polniſchen
Steinſalzbergwerk vor, die herumtappen mit einem
an dem Kopf gebundnen Licht, das ſie ein Ich
nennen, vom genußloſen Blinken des Salzes um¬
zingelt, weis gekleidet und mit rothen Binden, als
waͤren es Aderlaßbinden — Die Sprache ſeiner Be¬
kannten iſt wie die der Sineſer, einſylbig — Er
muß dem erniedrigenden Tag entgegen leben, wo
Jenner und die Stadt die Niedrigkeit ſeines Stan¬
des ihm zum Betrug anrechnen. — Vor jedem
Auge ſteht er in einem andern Lichte oder Schatten
vielmehr, Matthieu haͤlt ihn fuͤr grob, Jenner fuͤr
intriguant, die Weiber fuͤr taͤndelnd, ſo wie Ema¬
nuel fuͤr fromm und Klotilde fuͤr zu warm — denn
jeder vernimmt an einem vollſtimmig beſetzten
Menſchen nur ſein Echo. Welches Herz konnt' ihn
nun noch bewegen — ſeines ohnehin nicht — das
Ruder im Sklavenſchiff des Lebens laͤnger zu halten?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="395"/>
thieus Dien&#x017F;tfertigkeit, als wenn er das Zi&#x017F;chen<lb/>
und den Kugelpfif des herab&#x017F;chie&#x017F;&#x017F;enden Stoßvogels<lb/>
verna&#x0364;hme, der bisher unverru&#x0364;ckt gleich&#x017F;am mit ange¬<lb/>
nageltem Fittich hoch im Blauen u&#x0364;ber dem Raub<lb/>
geruhet hatte. &#x2014; Verarget es dem Doktor nicht<lb/>
gar zu &#x017F;ehr, daß ihn die verlorne Gelegenheit kra&#x0364;nk¬<lb/>
te, &#x017F;einen Freund aus dem engen Gefa&#x0364;ngniß und<lb/>
&#x017F;ich aus dem weiten des Lebens los zu machen. Denn<lb/>
er hat zu viel verloren und i&#x017F;t zu ein&#x017F;am: die Men¬<lb/>
&#x017F;chen kommen ihm wie die Leute in dem polni&#x017F;chen<lb/>
Stein&#x017F;alzbergwerk vor, die herumtappen mit einem<lb/>
an dem Kopf gebundnen <hi rendition="#g">Licht</hi>, das &#x017F;ie ein Ich<lb/>
nennen, vom genußlo&#x017F;en Blinken des Salzes um¬<lb/>
zingelt, weis gekleidet und mit rothen Binden, als<lb/>
wa&#x0364;ren es Aderlaßbinden &#x2014; Die Sprache &#x017F;einer Be¬<lb/>
kannten i&#x017F;t wie die der Sine&#x017F;er, ein&#x017F;ylbig &#x2014; Er<lb/>
muß dem erniedrigenden Tag entgegen leben, wo<lb/>
Jenner und die Stadt die Niedrigkeit &#x017F;eines Stan¬<lb/>
des ihm zum Betrug anrechnen. &#x2014; Vor jedem<lb/>
Auge &#x017F;teht er in einem andern Lichte oder Schatten<lb/>
vielmehr, Matthieu ha&#x0364;lt ihn fu&#x0364;r grob, Jenner fu&#x0364;r<lb/>
intriguant, die Weiber fu&#x0364;r ta&#x0364;ndelnd, &#x017F;o wie Ema¬<lb/>
nuel fu&#x0364;r fromm und Klotilde fu&#x0364;r zu warm &#x2014; denn<lb/>
jeder vernimmt an einem <hi rendition="#g">voll&#x017F;timmig</hi> be&#x017F;etzten<lb/>
Men&#x017F;chen nur &#x017F;ein Echo. Welches Herz konnt' ihn<lb/><choice><sic>uun</sic><corr>nun</corr></choice> noch bewegen &#x2014; &#x017F;eines ohnehin nicht &#x2014; das<lb/>
Ruder im Sklaven&#x017F;chiff des Lebens la&#x0364;nger zu halten?<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0405] thieus Dienſtfertigkeit, als wenn er das Ziſchen und den Kugelpfif des herabſchieſſenden Stoßvogels vernaͤhme, der bisher unverruͤckt gleichſam mit ange¬ nageltem Fittich hoch im Blauen uͤber dem Raub geruhet hatte. — Verarget es dem Doktor nicht gar zu ſehr, daß ihn die verlorne Gelegenheit kraͤnk¬ te, ſeinen Freund aus dem engen Gefaͤngniß und ſich aus dem weiten des Lebens los zu machen. Denn er hat zu viel verloren und iſt zu einſam: die Men¬ ſchen kommen ihm wie die Leute in dem polniſchen Steinſalzbergwerk vor, die herumtappen mit einem an dem Kopf gebundnen Licht, das ſie ein Ich nennen, vom genußloſen Blinken des Salzes um¬ zingelt, weis gekleidet und mit rothen Binden, als waͤren es Aderlaßbinden — Die Sprache ſeiner Be¬ kannten iſt wie die der Sineſer, einſylbig — Er muß dem erniedrigenden Tag entgegen leben, wo Jenner und die Stadt die Niedrigkeit ſeines Stan¬ des ihm zum Betrug anrechnen. — Vor jedem Auge ſteht er in einem andern Lichte oder Schatten vielmehr, Matthieu haͤlt ihn fuͤr grob, Jenner fuͤr intriguant, die Weiber fuͤr taͤndelnd, ſo wie Ema¬ nuel fuͤr fromm und Klotilde fuͤr zu warm — denn jeder vernimmt an einem vollſtimmig beſetzten Menſchen nur ſein Echo. Welches Herz konnt' ihn nun noch bewegen — ſeines ohnehin nicht — das Ruder im Sklavenſchiff des Lebens laͤnger zu halten?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/405
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/405>, abgerufen am 18.05.2024.