kann: mein guter, theuerer, unvergeßlicher Ju¬ gendfreund! -- Dann wollt' er ihm mit tausend Thränen um den Hals fallen und ihm alles verge¬ ben: denn neben dem Tode und nach einer großen That kann und darf der Mensch dem Menschen alles, alles verzeihen.
Die weichere Seele erräth leicht die zweite Ver¬ süßung seines Todes. -- Diese, daß er noch ein¬ mal zur Geliebten hingehen und es vor ihr denken ob wol nicht sagen konnte: ich falle für dich. Denn er fühlte es jetzt doch, daß die beschlossene Scheidung durch das Leben zu schwer sei und nur eine durch Sterben leicht -- o recht leicht und süß, empfand er, ists, vor der Geliebten das nasse Au¬ ge zu schliessen, dann nichts mehr weiter anzusehen auf der Erde, sondern mit den hohen Flammen des Herzens und mit dem an die Brust angedrückten theuren Bilde wie die eingesargte Mutter mit dem todten Liebling, blind an den Rand dieser Welt zu treten und sich hinabzustürzen ins stille, tiefe, dun¬ kle, kalte Todtenmeer. ... "Du bist, sagt' er oft, in mein Ich gemalt und nichts macht dein Bild von meinem Herzen los; beide müssen, wie in Italien Mauer und Gemälde darauf, mit ein¬ ander versetzet werden." -- Und da jetzt nichts mehr nach seinem Körper zu fragen brauchte: so durft' er die Thränen die ihn zerrütteten, ab¬
kann: mein guter, theuerer, unvergeßlicher Ju¬ gendfreund! — Dann wollt' er ihm mit tauſend Thraͤnen um den Hals fallen und ihm alles verge¬ ben: denn neben dem Tode und nach einer großen That kann und darf der Menſch dem Menſchen alles, alles verzeihen.
Die weichere Seele erraͤth leicht die zweite Ver¬ ſuͤßung ſeines Todes. — Dieſe, daß er noch ein¬ mal zur Geliebten hingehen und es vor ihr denken ob wol nicht ſagen konnte: ich falle fuͤr dich. Denn er fuͤhlte es jetzt doch, daß die beſchloſſene Scheidung durch das Leben zu ſchwer ſei und nur eine durch Sterben leicht — o recht leicht und ſuͤß, empfand er, iſts, vor der Geliebten das naſſe Au¬ ge zu ſchlieſſen, dann nichts mehr weiter anzuſehen auf der Erde, ſondern mit den hohen Flammen des Herzens und mit dem an die Bruſt angedruͤckten theuren Bilde wie die eingeſargte Mutter mit dem todten Liebling, blind an den Rand dieſer Welt zu treten und ſich hinabzuſtuͤrzen ins ſtille, tiefe, dun¬ kle, kalte Todtenmeer. ... »Du biſt, ſagt' er oft, in mein Ich gemalt und nichts macht dein Bild von meinem Herzen los; beide muͤſſen, wie in Italien Mauer und Gemaͤlde darauf, mit ein¬ ander verſetzet werden.» — Und da jetzt nichts mehr nach ſeinem Koͤrper zu fragen brauchte: ſo durft' er die Thraͤnen die ihn zerruͤtteten, ab¬
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kann: mein guter, theuerer, unvergeßlicher Ju¬
gendfreund! — Dann wollt' er ihm mit tauſend
Thraͤnen um den Hals fallen und ihm alles verge¬
ben: denn neben dem Tode und nach einer
großen That kann und darf der Menſch dem
Menſchen alles, alles verzeihen.
Die weichere Seele erraͤth leicht die zweite Ver¬
ſuͤßung ſeines Todes. — Dieſe, daß er noch ein¬
mal zur Geliebten hingehen und es vor ihr denken
ob wol nicht ſagen konnte: ich falle fuͤr dich.
Denn er fuͤhlte es jetzt doch, daß die beſchloſſene
Scheidung durch das Leben zu ſchwer ſei und nur
eine durch Sterben leicht — o recht leicht und ſuͤß,
empfand er, iſts, vor der Geliebten das naſſe Au¬
ge zu ſchlieſſen, dann nichts mehr weiter anzuſehen
auf der Erde, ſondern mit den hohen Flammen des
Herzens und mit dem an die Bruſt angedruͤckten
theuren Bilde wie die eingeſargte Mutter mit dem
todten Liebling, blind an den Rand dieſer Welt zu
treten und ſich hinabzuſtuͤrzen ins ſtille, tiefe, dun¬
kle, kalte Todtenmeer. ... »Du biſt, ſagt' er
oft, in mein Ich gemalt und nichts macht dein
Bild von meinem Herzen los; beide muͤſſen, wie
in Italien Mauer und Gemaͤlde darauf, mit ein¬
ander verſetzet werden.» — Und da jetzt nichts
mehr nach ſeinem Koͤrper zu fragen brauchte: ſo
durft' er die Thraͤnen die ihn zerruͤtteten, ab¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/370>, abgerufen am 23.11.2024.
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