Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Hart klingt jetzt das sonderbare Blatt vom Lord,
das kein Brief sondern eine kalte Schutzrede seines
künftigen Betragens zu seyn scheint.

"Das Leben ist ein leeres kleines Spiel. Wenn
mich meine vielen Jahre nicht widerleget haben: so
ist eine Widerlegung durch die wenigen übrigen we¬
der nöthig noch möglich. Ein einziger Unglücklicher
wiegt alle Trunkne auf. Für uns nichtige Dinge
sind nichtige Dinge gut genug; für Schläfer Träu¬
me. Darum giebt es weder in noch ausser uns et¬
was Bewundernswerthes. Die Sonne ist in der
Nähe ein Erdball, ein Erdball ist bloß die öftere
Wiederhohlung der Erdscholle. -- Was nicht an
und für sich erhaben ist, kanns durch die öftere Sez¬
zung so wenig werden, als der Floh durchs Mikro¬
skop, höchstens kleiner. Warum soll das Gewitter
erhabner sein als ein elektrischer Versuch, ein Re¬
genbogen größer als eine Seifenblase? Lös' ich eine
große Schweitzergegend in ihre Bestandtheile auf: so
hab' ich Tannennadeln, Eiszapfen, Gräser, Tro¬
pfen und Gries. -- Die Zeit vergeht in Augen¬
blicke, die Völker in Individuen, das Genie in
Gedanken, die Unermeßlichkeit in Punkte: es ist
nichts groß. -- Ein oft gedachter trigonometrischer
Satz wird zum identischen, ein oft gelesener Ein¬
fall schaal, eine alte Wahrheit gleichgültig.
-- Ich behaupte wieder: was durch Stufen groß

Hart klingt jetzt das ſonderbare Blatt vom Lord,
das kein Brief ſondern eine kalte Schutzrede ſeines
kuͤnftigen Betragens zu ſeyn ſcheint.

»Das Leben iſt ein leeres kleines Spiel. Wenn
mich meine vielen Jahre nicht widerleget haben: ſo
iſt eine Widerlegung durch die wenigen uͤbrigen we¬
der noͤthig noch moͤglich. Ein einziger Ungluͤcklicher
wiegt alle Trunkne auf. Fuͤr uns nichtige Dinge
ſind nichtige Dinge gut genug; fuͤr Schlaͤfer Traͤu¬
me. Darum giebt es weder in noch auſſer uns et¬
was Bewundernswerthes. Die Sonne iſt in der
Naͤhe ein Erdball, ein Erdball iſt bloß die oͤftere
Wiederhohlung der Erdſcholle. — Was nicht an
und fuͤr ſich erhaben iſt, kanns durch die oͤftere Sez¬
zung ſo wenig werden, als der Floh durchs Mikro¬
ſkop, hoͤchſtens kleiner. Warum ſoll das Gewitter
erhabner ſein als ein elektriſcher Verſuch, ein Re¬
genbogen groͤßer als eine Seifenblaſe? Loͤſ' ich eine
große Schweitzergegend in ihre Beſtandtheile auf: ſo
hab' ich Tannennadeln, Eiszapfen, Graͤſer, Tro¬
pfen und Gries. — Die Zeit vergeht in Augen¬
blicke, die Voͤlker in Individuen, das Genie in
Gedanken, die Unermeßlichkeit in Punkte: es iſt
nichts groß. — Ein oft gedachter trigonometriſcher
Satz wird zum identiſchen, ein oft geleſener Ein¬
fall ſchaal, eine alte Wahrheit gleichguͤltig.
— Ich behaupte wieder: was durch Stufen groß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0360" n="350"/>
          <p>Hart klingt jetzt das &#x017F;onderbare Blatt vom Lord,<lb/>
das kein Brief &#x017F;ondern eine kalte Schutzrede &#x017F;eines<lb/>
ku&#x0364;nftigen Betragens zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint.</p><lb/>
          <p>»Das Leben i&#x017F;t ein leeres kleines Spiel. Wenn<lb/>
mich meine vielen Jahre nicht widerleget haben: &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t eine Widerlegung durch die wenigen u&#x0364;brigen we¬<lb/>
der no&#x0364;thig noch mo&#x0364;glich. Ein einziger Unglu&#x0364;cklicher<lb/>
wiegt alle Trunkne auf. Fu&#x0364;r uns nichtige Dinge<lb/>
&#x017F;ind nichtige Dinge gut genug; fu&#x0364;r Schla&#x0364;fer Tra&#x0364;<lb/>
me. Darum giebt es weder in noch au&#x017F;&#x017F;er uns et¬<lb/>
was Bewundernswerthes. Die Sonne i&#x017F;t in der<lb/>
Na&#x0364;he ein Erdball, ein Erdball i&#x017F;t bloß die o&#x0364;ftere<lb/>
Wiederhohlung der Erd&#x017F;cholle. &#x2014; Was nicht an<lb/>
und fu&#x0364;r &#x017F;ich erhaben i&#x017F;t, kanns durch die o&#x0364;ftere Sez¬<lb/>
zung &#x017F;o wenig werden, als der Floh durchs Mikro¬<lb/>
&#x017F;kop, ho&#x0364;ch&#x017F;tens kleiner. Warum &#x017F;oll das Gewitter<lb/>
erhabner &#x017F;ein als ein elektri&#x017F;cher Ver&#x017F;uch, ein Re¬<lb/>
genbogen gro&#x0364;ßer als eine Seifenbla&#x017F;e? Lo&#x0364;&#x017F;' ich eine<lb/>
große Schweitzergegend in ihre Be&#x017F;tandtheile auf: &#x017F;o<lb/>
hab' ich Tannennadeln, Eiszapfen, Gra&#x0364;&#x017F;er, Tro¬<lb/>
pfen und Gries. &#x2014; Die Zeit vergeht in Augen¬<lb/>
blicke, die Vo&#x0364;lker in Individuen, das Genie in<lb/>
Gedanken, die Unermeßlichkeit in Punkte: es i&#x017F;t<lb/>
nichts groß. &#x2014; Ein oft gedachter trigonometri&#x017F;cher<lb/>
Satz wird zum identi&#x017F;chen, ein oft gele&#x017F;ener Ein¬<lb/>
fall &#x017F;chaal, eine alte Wahrheit gleichgu&#x0364;ltig.<lb/>
&#x2014; Ich behaupte wieder: was durch Stufen groß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0360] Hart klingt jetzt das ſonderbare Blatt vom Lord, das kein Brief ſondern eine kalte Schutzrede ſeines kuͤnftigen Betragens zu ſeyn ſcheint. »Das Leben iſt ein leeres kleines Spiel. Wenn mich meine vielen Jahre nicht widerleget haben: ſo iſt eine Widerlegung durch die wenigen uͤbrigen we¬ der noͤthig noch moͤglich. Ein einziger Ungluͤcklicher wiegt alle Trunkne auf. Fuͤr uns nichtige Dinge ſind nichtige Dinge gut genug; fuͤr Schlaͤfer Traͤu¬ me. Darum giebt es weder in noch auſſer uns et¬ was Bewundernswerthes. Die Sonne iſt in der Naͤhe ein Erdball, ein Erdball iſt bloß die oͤftere Wiederhohlung der Erdſcholle. — Was nicht an und fuͤr ſich erhaben iſt, kanns durch die oͤftere Sez¬ zung ſo wenig werden, als der Floh durchs Mikro¬ ſkop, hoͤchſtens kleiner. Warum ſoll das Gewitter erhabner ſein als ein elektriſcher Verſuch, ein Re¬ genbogen groͤßer als eine Seifenblaſe? Loͤſ' ich eine große Schweitzergegend in ihre Beſtandtheile auf: ſo hab' ich Tannennadeln, Eiszapfen, Graͤſer, Tro¬ pfen und Gries. — Die Zeit vergeht in Augen¬ blicke, die Voͤlker in Individuen, das Genie in Gedanken, die Unermeßlichkeit in Punkte: es iſt nichts groß. — Ein oft gedachter trigonometriſcher Satz wird zum identiſchen, ein oft geleſener Ein¬ fall ſchaal, eine alte Wahrheit gleichguͤltig. — Ich behaupte wieder: was durch Stufen groß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/360
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/360>, abgerufen am 17.05.2024.