wird, bleibt klein. Wenn die Dichtungskraft, die entweder Bilder oder Leidenschaften mahlt, nicht in der Erfindung des alltäglichsten Bildes schon zu bewundern ist, so ist es nirgends. In die Stelle eines andern kann sich jeder in irgend einem Grade setzen. -- Die Begeisterung ist mir verhaßt, weil sie eben so gut durch Liköre als durch Phantasien entsteht, und weil man in und nach ihr am meisten sich zum Haß und zur Wollust neigt. -- Die Grö¬ ße einer erhabnen That besteht nicht in der Ausfüh¬ rung, die auf körperliche Armseligkeiten, auf Bewe¬ gen, Stehen ausläuft, nicht im einfachen Ent¬ schluß, weil der entgegengesetzte, z. B. der zu mor¬ den eben so viel Kraft bedarf als der, zu sterben, nicht in der Seltenheit, weil wir alle uns diesel¬ be Tüchtigkeit dazu, nur aber nicht die Motiven dazu empfinden, nicht in allen diesem, sondern in unserer Prahlerei. -- Wir halten unsern allerletz¬ ten Irrthum für Wahrheit, unser Heute für fromm, und jeden künftigen Augenblick für den Kranz und Himmel der vorigen. Im Alter hat der Geist nach so vielen Arbeiten, nach so vielen Stillungen den¬ selben Durst, dieselbe Quaal. -- Da alles sich verkleinert in einem höhern Auge: so müßte ein Geist oder eine Welt, um groß zu seyn, es sogar vor dem sogenannten göttlichen Auge seyn; aber dann müßt' er oder sie größer seyn als Gott, weil
wird, bleibt klein. Wenn die Dichtungskraft, die entweder Bilder oder Leidenſchaften mahlt, nicht in der Erfindung des alltaͤglichſten Bildes ſchon zu bewundern iſt, ſo iſt es nirgends. In die Stelle eines andern kann ſich jeder in irgend einem Grade ſetzen. — Die Begeiſterung iſt mir verhaßt, weil ſie eben ſo gut durch Likoͤre als durch Phantaſien entſteht, und weil man in und nach ihr am meiſten ſich zum Haß und zur Wolluſt neigt. — Die Groͤ¬ ße einer erhabnen That beſteht nicht in der Ausfuͤh¬ rung, die auf koͤrperliche Armſeligkeiten, auf Bewe¬ gen, Stehen auslaͤuft, nicht im einfachen Ent¬ ſchluß, weil der entgegengeſetzte, z. B. der zu mor¬ den eben ſo viel Kraft bedarf als der, zu ſterben, nicht in der Seltenheit‚ weil wir alle uns dieſel¬ be Tuͤchtigkeit dazu, nur aber nicht die Motiven dazu empfinden, nicht in allen dieſem, ſondern in unſerer Prahlerei. — Wir halten unſern allerletz¬ ten Irrthum fuͤr Wahrheit, unſer Heute fuͤr fromm, und jeden kuͤnftigen Augenblick fuͤr den Kranz und Himmel der vorigen. Im Alter hat der Geiſt nach ſo vielen Arbeiten, nach ſo vielen Stillungen den¬ ſelben Durſt, dieſelbe Quaal. — Da alles ſich verkleinert in einem hoͤhern Auge: ſo muͤßte ein Geiſt oder eine Welt, um groß zu ſeyn, es ſogar vor dem ſogenannten goͤttlichen Auge ſeyn; aber dann muͤßt' er oder ſie groͤßer ſeyn als Gott, weil
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wird, bleibt klein. Wenn die Dichtungskraft, die
entweder Bilder oder Leidenſchaften mahlt,
nicht in der Erfindung des alltaͤglichſten Bildes ſchon
zu bewundern iſt, ſo iſt es nirgends. In die Stelle
eines andern kann ſich jeder in irgend einem Grade
ſetzen. — Die Begeiſterung iſt mir verhaßt, weil
ſie eben ſo gut durch Likoͤre als durch Phantaſien
entſteht, und weil man in und nach ihr am meiſten
ſich zum Haß und zur Wolluſt neigt. — Die Groͤ¬
ße einer erhabnen That beſteht nicht in der Ausfuͤh¬
rung, die auf koͤrperliche Armſeligkeiten, auf Bewe¬
gen, Stehen auslaͤuft, nicht im einfachen Ent¬
ſchluß, weil der entgegengeſetzte, z. B. der zu mor¬
den eben ſo viel Kraft bedarf als der, zu ſterben,
nicht in der Seltenheit‚ weil wir alle uns dieſel¬
be Tuͤchtigkeit dazu, nur aber nicht die Motiven
dazu empfinden, nicht in allen dieſem, ſondern in
unſerer Prahlerei. — Wir halten unſern allerletz¬
ten Irrthum fuͤr Wahrheit, unſer Heute fuͤr fromm,
und jeden kuͤnftigen Augenblick fuͤr den Kranz und
Himmel der vorigen. Im Alter hat der Geiſt nach
ſo vielen Arbeiten, nach ſo vielen Stillungen den¬
ſelben Durſt, dieſelbe Quaal. — Da alles ſich
verkleinert in einem hoͤhern Auge: ſo muͤßte ein
Geiſt oder eine Welt, um groß zu ſeyn, es ſogar
vor dem ſogenannten goͤttlichen Auge ſeyn; aber
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/361>, abgerufen am 23.11.2024.
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