Ach, ob sie gleich einmal sagten: weder die Furcht noch die Hofnungen des Menschen treffen ein, son¬ dern immer etwas anders; so hab' ich doch das traurige Recht, meiner Bangigkeit und allen Träu¬ men der Angst zu glauben, da ich mich bisher in nichts irrte als in der Hofnung. -- Wie ungenüg¬ sam ist der Mensch -- Ach wenn auch alles ein¬ träfe und ich zu unglücklich würde: so würd' ich doch sagen: wie könnt' ich jetzt zu unglücklich seyn, wenn ich nicht einmal zu glücklich gewesen wäre? -- --
Sie werden mir es gern vergeben, daß ich über London und über den Eindruck schweige, den es auf ein so zerstreuetes Herz wie meines machen konnte: das thätige Gewühl der Freiheit und der Schimmer des Luxus und des Handels beklemmen eine kummer¬ hafte Seele blos und machen nicht froher, wenn man es nicht vorher ist. Sei glücklich, geliebte Vaterstadt, sagte mein Herz, sei es lange und sehr, wie ichs in dir gewesen bin in meiner Jugend! -- Aber dann eil' ich lieber mit meiner Mutter auf ihr Landhaus zu, wo einmal drei gute Kinder *) so fröhlich grünten und da werd' ich unaussprechlich erweicht und dann bild' ich mir ein, ich sei hier glücklicher, als unter den Glücklichen. Ich bilde
*) Viktor, Julius, Flamin.
Ach, ob ſie gleich einmal ſagten: weder die Furcht noch die Hofnungen des Menſchen treffen ein, ſon¬ dern immer etwas anders; ſo hab' ich doch das traurige Recht, meiner Bangigkeit und allen Traͤu¬ men der Angſt zu glauben, da ich mich bisher in nichts irrte als in der Hofnung. — Wie ungenuͤg¬ ſam iſt der Menſch — Ach wenn auch alles ein¬ traͤfe und ich zu ungluͤcklich wuͤrde: ſo wuͤrd' ich doch ſagen: wie koͤnnt' ich jetzt zu ungluͤcklich ſeyn, wenn ich nicht einmal zu gluͤcklich geweſen waͤre? — —
Sie werden mir es gern vergeben, daß ich uͤber London und uͤber den Eindruck ſchweige, den es auf ein ſo zerſtreuetes Herz wie meines machen konnte: das thaͤtige Gewuͤhl der Freiheit und der Schimmer des Luxus und des Handels beklemmen eine kummer¬ hafte Seele blos und machen nicht froher, wenn man es nicht vorher iſt. Sei gluͤcklich, geliebte Vaterſtadt, ſagte mein Herz, ſei es lange und ſehr, wie ichs in dir geweſen bin in meiner Jugend! — Aber dann eil' ich lieber mit meiner Mutter auf ihr Landhaus zu, wo einmal drei gute Kinder *) ſo froͤhlich gruͤnten und da werd' ich unausſprechlich erweicht und dann bild' ich mir ein, ich ſei hier gluͤcklicher, als unter den Gluͤcklichen. Ich bilde
*) Viktor, Julius, Flamin.
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Ach, ob ſie gleich einmal ſagten: weder die Furcht
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traurige Recht, meiner Bangigkeit und allen Traͤu¬
men der Angſt zu glauben, da ich mich bisher in
nichts irrte als in der Hofnung. — Wie ungenuͤg¬
ſam iſt der Menſch — Ach wenn auch alles ein¬
traͤfe und ich zu ungluͤcklich wuͤrde: ſo wuͤrd' ich
doch ſagen: wie koͤnnt' ich jetzt zu ungluͤcklich ſeyn,
wenn ich nicht einmal zu gluͤcklich geweſen
waͤre? — —
Sie werden mir es gern vergeben, daß ich uͤber
London und uͤber den Eindruck ſchweige, den es auf
ein ſo zerſtreuetes Herz wie meines machen konnte:
das thaͤtige Gewuͤhl der Freiheit und der Schimmer
des Luxus und des Handels beklemmen eine kummer¬
hafte Seele blos und machen nicht froher, wenn
man es nicht vorher iſt. Sei gluͤcklich, geliebte
Vaterſtadt, ſagte mein Herz, ſei es lange und ſehr,
wie ichs in dir geweſen bin in meiner Jugend! —
Aber dann eil' ich lieber mit meiner Mutter auf
ihr Landhaus zu, wo einmal drei gute Kinder *) ſo
froͤhlich gruͤnten und da werd' ich unausſprechlich
erweicht und dann bild' ich mir ein, ich ſei hier
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*) Viktor, Julius, Flamin.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/357>, abgerufen am 23.11.2024.
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