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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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ihr zu Füßen und schrie: "Gnade! Gnade! wir
"sämtlich wusten um nichts. Ich hab' den Todt¬
"schlag erst unter dem Balbieren gehört. Ich be¬
"jammre nur Dero Herrn Vater und seine Relik¬
"ten. -- Ich und meine Frau sind gestraft genug,
"daß ich jetzt nicht Senior Consistorii werden kann;
"und unsern Pathenbrief an Se. Durchlaucht un¬
"terschlag ich auch, und wenn meine Frau auf der
"Stelle niederkäme." -- Die zwei Freundinnen
zogen sich in ein Kabinet; und hier goß Klotilde
das erste Wundwasser auf die blutende Seele, indem
sie mit ihr die Reise nach London verabredete. -- --

Einige meiner Leser werden mir schon vorgeflo¬
gen seyn, und in den Erker Viktors hineingeschaut
haben, um seinen von vier Wänden versteckten Gram
zu finden -- fürchterlich steht die Einsamkeit vor
ihm und faltet ihm ein großes schwarzes Gemälde
mit zwei weißen Gräbern auf; in einem großen
Grabe liegt die verlorne Freundschaft, im andern
die verlorne Hofnung. Ach er wünscht das dritte,
worein auch er sich verlöre. Er hatte die erhabne
Stimmung Hamlets. Der verhüllte Julius kam
ihm wie ein zuckender Todter vor. Er mied ganz
den Hof: denn sein Selbstgefühl war viel zu be¬
scheiden und stolz, um mit dem gestohlnen Adel und
den erschlichenen Rechten eines Lords Sohnes ein
flüchtiges Gepränge zu treiben. Auch setzte sich an

ihr zu Fuͤßen und ſchrie: »Gnade! Gnade! wir
»ſaͤmtlich wuſten um nichts. Ich hab' den Todt¬
»ſchlag erſt unter dem Balbieren gehoͤrt. Ich be¬
»jammre nur Dero Herrn Vater und ſeine Relik¬
»ten. — Ich und meine Frau ſind geſtraft genug,
»daß ich jetzt nicht Senior Conſiſtorii werden kann;
»und unſern Pathenbrief an Se. Durchlaucht un¬
»terſchlag ich auch, und wenn meine Frau auf der
»Stelle niederkaͤme.» — Die zwei Freundinnen
zogen ſich in ein Kabinet; und hier goß Klotilde
das erſte Wundwaſſer auf die blutende Seele, indem
ſie mit ihr die Reiſe nach London verabredete. — —

Einige meiner Leſer werden mir ſchon vorgeflo¬
gen ſeyn, und in den Erker Viktors hineingeſchaut
haben, um ſeinen von vier Waͤnden verſteckten Gram
zu finden — fuͤrchterlich ſteht die Einſamkeit vor
ihm und faltet ihm ein großes ſchwarzes Gemaͤlde
mit zwei weißen Graͤbern auf; in einem großen
Grabe liegt die verlorne Freundſchaft, im andern
die verlorne Hofnung. Ach er wuͤnſcht das dritte,
worein auch er ſich verloͤre. Er hatte die erhabne
Stimmung Hamlets. Der verhuͤllte Julius kam
ihm wie ein zuckender Todter vor. Er mied ganz
den Hof: denn ſein Selbſtgefuͤhl war viel zu be¬
ſcheiden und ſtolz, um mit dem geſtohlnen Adel und
den erſchlichenen Rechten eines Lords Sohnes ein
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[333/0343] ihr zu Fuͤßen und ſchrie: »Gnade! Gnade! wir »ſaͤmtlich wuſten um nichts. Ich hab' den Todt¬ »ſchlag erſt unter dem Balbieren gehoͤrt. Ich be¬ »jammre nur Dero Herrn Vater und ſeine Relik¬ »ten. — Ich und meine Frau ſind geſtraft genug, »daß ich jetzt nicht Senior Conſiſtorii werden kann; »und unſern Pathenbrief an Se. Durchlaucht un¬ »terſchlag ich auch, und wenn meine Frau auf der »Stelle niederkaͤme.» — Die zwei Freundinnen zogen ſich in ein Kabinet; und hier goß Klotilde das erſte Wundwaſſer auf die blutende Seele, indem ſie mit ihr die Reiſe nach London verabredete. — — Einige meiner Leſer werden mir ſchon vorgeflo¬ gen ſeyn, und in den Erker Viktors hineingeſchaut haben, um ſeinen von vier Waͤnden verſteckten Gram zu finden — fuͤrchterlich ſteht die Einſamkeit vor ihm und faltet ihm ein großes ſchwarzes Gemaͤlde mit zwei weißen Graͤbern auf; in einem großen Grabe liegt die verlorne Freundſchaft, im andern die verlorne Hofnung. Ach er wuͤnſcht das dritte, worein auch er ſich verloͤre. Er hatte die erhabne Stimmung Hamlets. Der verhuͤllte Julius kam ihm wie ein zuckender Todter vor. Er mied ganz den Hof: denn ſein Selbſtgefuͤhl war viel zu be¬ ſcheiden und ſtolz, um mit dem geſtohlnen Adel und den erſchlichenen Rechten eines Lords Sohnes ein fluͤchtiges Gepraͤnge zu treiben. Auch ſetzte ſich an

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/343>, abgerufen am 17.05.2024.