Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

ehrerbietige Unwahrheiten nicht blos vergiebt sondern
auch verlangt.

Viktor verhies ihr, in dunkler Ahndung
seiner Kraft und Uneigennützigkeit -- denn der
Unglückliche opfert leichter und freigebiger als
der Glückliche auf -- "er wolle wie eine Schwe¬
ster
für ihn sorgen." -- Ihre Augen trugen einan¬
der ihre Geheimnisse und eben darum ihre Liebe
vor und Klotilde floß von weinender Liebe über, erst¬
lich der Reise wegen, (weil für ihr Geschlecht eine
Reise der Seltenheit wegen etwas Wichtiges ist)
zweitens des Kummers wegen, da die Liebe ein weib¬
liches Herz in ganzer Trauer wärmer macht als eins
in halber, wie Brennspiegel schwarz gefärbte Dinge
stärker erhitzen als weisse. -- --

Gerade heute, wo sie ihm mit so viel erneuter
Liebe in die Augen blickte, sollt' er von ihr abgeris¬
sen werden. Er verschonte sie zwar mit der Entdek¬
kung seiner Geburt und seiner ewigen Trennung, um
an ihr reissendes Herz nicht neue ziehende Qualen zu
hängen; aber er wollte diese letzte Minute seiner
schönen Liebe, diese Nachlese und diesen Nachflor
seines Lebens ganz abernten. Ach er wollte sie an¬
schauen wie nie -- er wollte ihr die Hand drücken
heftig wie nie -- er wollte ihr ein Lebewol sagen
wie ein Sterbender -- -- Denn es ist alles, rief
unaufhörlich sein Innerstes zum letzten letztenmale!

ehrerbietige Unwahrheiten nicht blos vergiebt ſondern
auch verlangt.

Viktor verhies ihr, in dunkler Ahndung
ſeiner Kraft und Uneigennuͤtzigkeit — denn der
Ungluͤckliche opfert leichter und freigebiger als
der Gluͤckliche auf — »er wolle wie eine Schwe¬
ſter
fuͤr ihn ſorgen.« — Ihre Augen trugen einan¬
der ihre Geheimniſſe und eben darum ihre Liebe
vor und Klotilde floß von weinender Liebe uͤber, erſt¬
lich der Reiſe wegen, (weil fuͤr ihr Geſchlecht eine
Reiſe der Seltenheit wegen etwas Wichtiges iſt)
zweitens des Kummers wegen, da die Liebe ein weib¬
liches Herz in ganzer Trauer waͤrmer macht als eins
in halber, wie Brennſpiegel ſchwarz gefaͤrbte Dinge
ſtaͤrker erhitzen als weiſſe. — —

Gerade heute, wo ſie ihm mit ſo viel erneuter
Liebe in die Augen blickte, ſollt' er von ihr abgeriſ¬
ſen werden. Er verſchonte ſie zwar mit der Entdek¬
kung ſeiner Geburt und ſeiner ewigen Trennung, um
an ihr reiſſendes Herz nicht neue ziehende Qualen zu
haͤngen; aber er wollte dieſe letzte Minute ſeiner
ſchoͤnen Liebe‚ dieſe Nachleſe und dieſen Nachflor
ſeines Lebens ganz abernten. Ach er wollte ſie an¬
ſchauen wie nie — er wollte ihr die Hand druͤcken
heftig wie nie — er wollte ihr ein Lebewol ſagen
wie ein Sterbender — — Denn es iſt alles‚ rief
unaufhoͤrlich ſein Innerſtes zum letzten letztenmale!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0324" n="314"/>
ehrerbietige Unwahrheiten nicht blos vergiebt &#x017F;ondern<lb/>
auch verlangt.</p><lb/>
          <p>Viktor verhies ihr, in dunkler Ahndung<lb/>
&#x017F;einer Kraft und Uneigennu&#x0364;tzigkeit &#x2014; denn der<lb/>
Unglu&#x0364;ckliche opfert leichter und freigebiger als<lb/>
der Glu&#x0364;ckliche auf &#x2014; »er wolle wie eine <hi rendition="#g">Schwe¬<lb/>
&#x017F;ter</hi> fu&#x0364;r ihn &#x017F;orgen.« &#x2014; Ihre Augen trugen einan¬<lb/>
der ihre Geheimni&#x017F;&#x017F;e und <hi rendition="#g">eben</hi> darum ihre Liebe<lb/>
vor und Klotilde floß von weinender Liebe u&#x0364;ber, er&#x017F;<lb/>
lich der Rei&#x017F;e wegen, (weil fu&#x0364;r ihr Ge&#x017F;chlecht eine<lb/>
Rei&#x017F;e der Seltenheit wegen etwas Wichtiges i&#x017F;t)<lb/>
zweitens des Kummers wegen, da die Liebe ein weib¬<lb/>
liches Herz in ganzer Trauer wa&#x0364;rmer macht als eins<lb/>
in halber, wie Brenn&#x017F;piegel &#x017F;chwarz gefa&#x0364;rbte Dinge<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rker erhitzen als wei&#x017F;&#x017F;e. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Gerade heute, wo &#x017F;ie ihm mit &#x017F;o viel erneuter<lb/>
Liebe in die Augen blickte, &#x017F;ollt' er von ihr abgeri&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en werden. Er ver&#x017F;chonte &#x017F;ie zwar mit der Entdek¬<lb/>
kung &#x017F;einer Geburt und &#x017F;einer ewigen Trennung, um<lb/>
an ihr rei&#x017F;&#x017F;endes Herz nicht neue ziehende Qualen zu<lb/>
ha&#x0364;ngen; aber er wollte die&#x017F;e letzte Minute &#x017F;einer<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Liebe&#x201A; die&#x017F;e Nachle&#x017F;e und die&#x017F;en Nachflor<lb/>
&#x017F;eines Lebens ganz abernten. Ach er wollte &#x017F;ie an¬<lb/>
&#x017F;chauen wie nie &#x2014; er wollte ihr die Hand dru&#x0364;cken<lb/>
heftig wie nie &#x2014; er wollte ihr ein Lebewol &#x017F;agen<lb/>
wie ein Sterbender &#x2014; &#x2014; Denn es i&#x017F;t alles&#x201A; rief<lb/>
unaufho&#x0364;rlich &#x017F;ein Inner&#x017F;tes zum letzten letztenmale!<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0324] ehrerbietige Unwahrheiten nicht blos vergiebt ſondern auch verlangt. Viktor verhies ihr, in dunkler Ahndung ſeiner Kraft und Uneigennuͤtzigkeit — denn der Ungluͤckliche opfert leichter und freigebiger als der Gluͤckliche auf — »er wolle wie eine Schwe¬ ſter fuͤr ihn ſorgen.« — Ihre Augen trugen einan¬ der ihre Geheimniſſe und eben darum ihre Liebe vor und Klotilde floß von weinender Liebe uͤber, erſt¬ lich der Reiſe wegen, (weil fuͤr ihr Geſchlecht eine Reiſe der Seltenheit wegen etwas Wichtiges iſt) zweitens des Kummers wegen, da die Liebe ein weib¬ liches Herz in ganzer Trauer waͤrmer macht als eins in halber, wie Brennſpiegel ſchwarz gefaͤrbte Dinge ſtaͤrker erhitzen als weiſſe. — — Gerade heute, wo ſie ihm mit ſo viel erneuter Liebe in die Augen blickte, ſollt' er von ihr abgeriſ¬ ſen werden. Er verſchonte ſie zwar mit der Entdek¬ kung ſeiner Geburt und ſeiner ewigen Trennung, um an ihr reiſſendes Herz nicht neue ziehende Qualen zu haͤngen; aber er wollte dieſe letzte Minute ſeiner ſchoͤnen Liebe‚ dieſe Nachleſe und dieſen Nachflor ſeines Lebens ganz abernten. Ach er wollte ſie an¬ ſchauen wie nie — er wollte ihr die Hand druͤcken heftig wie nie — er wollte ihr ein Lebewol ſagen wie ein Sterbender — — Denn es iſt alles‚ rief unaufhoͤrlich ſein Innerſtes zum letzten letztenmale!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/324
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/324>, abgerufen am 17.05.2024.