Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

-- Nur küssen wollt' er sie nicht: eine scheue Ehr¬
furcht, der Gedanke an die ausgespielte Liebhaber¬
rolle verbot es ihm, von ihrer Unwissenheit
einen eigennützigen Gebrauch zu machen. Aber als
er den letzten Blick der Liebe auf sie richten wollte:
so schlug das Schicksal alle die geschlifnen Waffen,
die bisher in seine Nerven gedrungen waren, noch
einmal in die blutenden Oefnungen, wie man in die
Wunden der Ermordeten die alten Instrumente wie¬
der hält, um zu sehen, obs dieselben sind, -- -- ach
es waren dieselben -- das Zimmer benebelte gleich¬
sam ein Lichterdampf -- die Flötentöne erstickten im
innern Brausen -- er mußte sie ansehen und konnte
doch nicht vor Wasser -- er mußte sie lange, fassend
ansehen, weil er ihr schönes Angesicht als ein Me¬
daillon, als ein Schattenbild des Schatten-Edens
auf ewig niederlegen wollte in seiner Seele -- --
Endlich konnt' er's, mit tausend, tausend Schmerzen
blickte er ihr bethräntes Angesicht, durch das die Tu¬
gend wie ein Herz schlug, ergreifend an und schattete
es ab in seiner öden Seele bis auf jede Linie, bis
auf jeden Tropfen -- So viel nahm er mit von ihr,
mehr nicht; ihr lies er alles, sein Herz und seine
Freude -- Ach weiche Klotilde! wenn du es errathen
hättest! -- Das Schluchzen seiner Mutter riß ihn
ans Nebenzimmer, er stieß die Thür' auf, rief zer¬
trümmert der weggekehrten Mutter zu: "Theuerste!

— Nur kuͤſſen wollt' er ſie nicht: eine ſcheue Ehr¬
furcht, der Gedanke an die ausgeſpielte Liebhaber¬
rolle verbot es ihm, von ihrer Unwiſſenheit
einen eigennuͤtzigen Gebrauch zu machen. Aber als
er den letzten Blick der Liebe auf ſie richten wollte:
ſo ſchlug das Schickſal alle die geſchlifnen Waffen,
die bisher in ſeine Nerven gedrungen waren, noch
einmal in die blutenden Oefnungen, wie man in die
Wunden der Ermordeten die alten Inſtrumente wie¬
der haͤlt, um zu ſehen, obs dieſelben ſind, — — ach
es waren dieſelben — das Zimmer benebelte gleich¬
ſam ein Lichterdampf — die Floͤtentoͤne erſtickten im
innern Brauſen — er mußte ſie anſehen und konnte
doch nicht vor Waſſer — er mußte ſie lange, faſſend
anſehen, weil er ihr ſchoͤnes Angeſicht als ein Me¬
daillon, als ein Schattenbild des Schatten-Edens
auf ewig niederlegen wollte in ſeiner Seele — —
Endlich konnt' er's, mit tauſend, tauſend Schmerzen
blickte er ihr bethraͤntes Angeſicht, durch das die Tu¬
gend wie ein Herz ſchlug, ergreifend an und ſchattete
es ab in ſeiner oͤden Seele bis auf jede Linie, bis
auf jeden Tropfen — So viel nahm er mit von ihr,
mehr nicht; ihr lies er alles, ſein Herz und ſeine
Freude — Ach weiche Klotilde! wenn du es errathen
haͤtteſt! — Das Schluchzen ſeiner Mutter riß ihn
ans Nebenzimmer, er ſtieß die Thuͤr' auf, rief zer¬
truͤmmert der weggekehrten Mutter zu: »Theuerſte!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0325" n="315"/>
&#x2014; Nur ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wollt' er &#x017F;ie nicht: eine &#x017F;cheue Ehr¬<lb/>
furcht, der Gedanke an die ausge&#x017F;pielte Liebhaber¬<lb/>
rolle verbot es ihm, von ihrer Unwi&#x017F;&#x017F;enheit<lb/>
einen eigennu&#x0364;tzigen Gebrauch zu machen. Aber als<lb/>
er den letzten Blick der Liebe auf &#x017F;ie richten wollte:<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chlug das Schick&#x017F;al alle die ge&#x017F;chlifnen Waffen,<lb/>
die bisher in &#x017F;eine Nerven gedrungen waren, noch<lb/>
einmal in die blutenden Oefnungen, wie man in die<lb/>
Wunden der Ermordeten die alten In&#x017F;trumente wie¬<lb/>
der ha&#x0364;lt, um zu &#x017F;ehen, obs die&#x017F;elben &#x017F;ind, &#x2014; &#x2014; ach<lb/>
es waren die&#x017F;elben &#x2014; das Zimmer benebelte gleich¬<lb/>
&#x017F;am ein Lichterdampf &#x2014; die Flo&#x0364;tento&#x0364;ne er&#x017F;tickten im<lb/>
innern Brau&#x017F;en &#x2014; er mußte &#x017F;ie an&#x017F;ehen und konnte<lb/>
doch nicht vor Wa&#x017F;&#x017F;er &#x2014; er mußte &#x017F;ie lange, fa&#x017F;&#x017F;end<lb/>
an&#x017F;ehen, weil er ihr &#x017F;cho&#x0364;nes Ange&#x017F;icht als ein Me¬<lb/>
daillon, als ein Schattenbild des Schatten-Edens<lb/>
auf ewig niederlegen wollte in &#x017F;einer Seele &#x2014; &#x2014;<lb/>
Endlich konnt' er's, mit tau&#x017F;end, tau&#x017F;end Schmerzen<lb/>
blickte er ihr bethra&#x0364;ntes Ange&#x017F;icht, durch das die Tu¬<lb/>
gend wie ein Herz &#x017F;chlug, ergreifend an und &#x017F;chattete<lb/>
es ab in &#x017F;einer o&#x0364;den Seele bis auf jede Linie, bis<lb/>
auf jeden Tropfen &#x2014; So viel nahm er mit von ihr,<lb/>
mehr nicht; ihr lies er alles, &#x017F;ein Herz und &#x017F;eine<lb/>
Freude &#x2014; Ach weiche Klotilde! wenn du es errathen<lb/>
ha&#x0364;tte&#x017F;t! &#x2014; Das Schluchzen <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> Mutter riß ihn<lb/>
ans Nebenzimmer, er &#x017F;tieß die Thu&#x0364;r' auf, rief zer¬<lb/>
tru&#x0364;mmert der weggekehrten Mutter zu: »Theuer&#x017F;te!<lb/></p>
          <p>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0325] — Nur kuͤſſen wollt' er ſie nicht: eine ſcheue Ehr¬ furcht, der Gedanke an die ausgeſpielte Liebhaber¬ rolle verbot es ihm, von ihrer Unwiſſenheit einen eigennuͤtzigen Gebrauch zu machen. Aber als er den letzten Blick der Liebe auf ſie richten wollte: ſo ſchlug das Schickſal alle die geſchlifnen Waffen, die bisher in ſeine Nerven gedrungen waren, noch einmal in die blutenden Oefnungen, wie man in die Wunden der Ermordeten die alten Inſtrumente wie¬ der haͤlt, um zu ſehen, obs dieſelben ſind, — — ach es waren dieſelben — das Zimmer benebelte gleich¬ ſam ein Lichterdampf — die Floͤtentoͤne erſtickten im innern Brauſen — er mußte ſie anſehen und konnte doch nicht vor Waſſer — er mußte ſie lange, faſſend anſehen, weil er ihr ſchoͤnes Angeſicht als ein Me¬ daillon, als ein Schattenbild des Schatten-Edens auf ewig niederlegen wollte in ſeiner Seele — — Endlich konnt' er's, mit tauſend, tauſend Schmerzen blickte er ihr bethraͤntes Angeſicht, durch das die Tu¬ gend wie ein Herz ſchlug, ergreifend an und ſchattete es ab in ſeiner oͤden Seele bis auf jede Linie, bis auf jeden Tropfen — So viel nahm er mit von ihr, mehr nicht; ihr lies er alles, ſein Herz und ſeine Freude — Ach weiche Klotilde! wenn du es errathen haͤtteſt! — Das Schluchzen ſeiner Mutter riß ihn ans Nebenzimmer, er ſtieß die Thuͤr' auf, rief zer¬ truͤmmert der weggekehrten Mutter zu: »Theuerſte!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/325
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/325>, abgerufen am 23.11.2024.