die rothgeweinten Augen sahen und bebten in dem düstern Zwischenraum zwischen dem Anblick und dem ersten Wort wie in der schrecklichen Zeit zwischen dem Feuer eines großen Geschosses und zwischen der Ankunft der Kugel und da endlich Klotilde leise fragte: "es ist alles wahr?" und er sagte: alles! -- so legte sie ihr schönes Haupt langsam um gegen die Wand und wiederholte in einem fort, aber leise¬ klagend, mit den sanften gedämpften Trauertönen des ermüdeten Jammers die Worte: "ach! mein "guter Lehrer! mein unvergeßlicher Freund! -- Ach "du großer Geist! du schöne Himmelsseele, warum "zogest du so bald meiner Giulia nach! -- -- O, "theuerster Freund, zürnen Sie nicht, ich wünschte "jetzt blos zu seyn, wo mein Vater ist, im stillen "Grabe." -- -- Viktor fing bebend die Frage an: "hat ihn Flamin. . . . ." -- aber er konnte nicht dazu setzen: "umgebracht": denn sie richtete das Haupt empor und blickte ihn an mit einem schwel¬ lenden, mit einem arbeitenden unsäglichen Schmerz und dieser Schmerz war ihr Ja. -- --
Sie wollte, von der Thränenverblutung erschlafft und zuckend unter den Erinnerungen, die wie Ge¬ hirnbohrer die Seele betasteten, endlich an der Wand zusammensinken; aber ihr Geliebter faßte sie mit unaussprechlichem Mitleid auf und erhielt sie
die rothgeweinten Augen ſahen und bebten in dem duͤſtern Zwiſchenraum zwiſchen dem Anblick und dem erſten Wort wie in der ſchrecklichen Zeit zwiſchen dem Feuer eines großen Geſchoſſes und zwiſchen der Ankunft der Kugel und da endlich Klotilde leiſe fragte: »es iſt alles wahr?» und er ſagte: alles! — ſo legte ſie ihr ſchoͤnes Haupt langſam um gegen die Wand und wiederholte in einem fort, aber leiſe¬ klagend, mit den ſanften gedaͤmpften Trauertoͤnen des ermuͤdeten Jammers die Worte: »ach! mein »guter Lehrer! mein unvergeßlicher Freund! — Ach »du großer Geiſt! du ſchoͤne Himmelsſeele, warum »zogeſt du ſo bald meiner Giulia nach! — — O, »theuerſter Freund, zuͤrnen Sie nicht, ich wuͤnſchte »jetzt blos zu ſeyn, wo mein Vater iſt, im ſtillen »Grabe.» — — Viktor fing bebend die Frage an: »hat ihn Flamin. . . . .» — aber er konnte nicht dazu ſetzen: »umgebracht»: denn ſie richtete das Haupt empor und blickte ihn an mit einem ſchwel¬ lenden, mit einem arbeitenden unſaͤglichen Schmerz und dieſer Schmerz war ihr Ja. — —
Sie wollte, von der Thraͤnenverblutung erſchlafft und zuckend unter den Erinnerungen, die wie Ge¬ hirnbohrer die Seele betaſteten, endlich an der Wand zuſammenſinken; aber ihr Geliebter faßte ſie mit unausſprechlichem Mitleid auf und erhielt ſie
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die rothgeweinten Augen ſahen und bebten in dem
duͤſtern Zwiſchenraum zwiſchen dem Anblick und dem
erſten Wort wie in der ſchrecklichen Zeit zwiſchen
dem Feuer eines großen Geſchoſſes und zwiſchen der
Ankunft der Kugel und da endlich Klotilde leiſe
fragte: »es iſt alles wahr?» und er ſagte: alles!
— ſo legte ſie ihr ſchoͤnes Haupt langſam um gegen
die Wand und wiederholte in einem fort, aber leiſe¬
klagend, mit den ſanften gedaͤmpften Trauertoͤnen
des ermuͤdeten Jammers die Worte: »ach! mein
»guter Lehrer! mein unvergeßlicher Freund! — Ach
»du großer Geiſt! du ſchoͤne Himmelsſeele, warum
»zogeſt du ſo bald meiner Giulia nach! — — O,
»theuerſter Freund, zuͤrnen Sie nicht, ich wuͤnſchte
»jetzt blos zu ſeyn, wo mein Vater iſt, im ſtillen
»Grabe.» — — Viktor fing bebend die Frage an:
»hat ihn Flamin. . . . .» — aber er konnte nicht
dazu ſetzen: »umgebracht»: denn ſie richtete das
Haupt empor und blickte ihn an mit einem ſchwel¬
lenden, mit einem arbeitenden unſaͤglichen Schmerz
und dieſer Schmerz war ihr Ja. — —
Sie wollte, von der Thraͤnenverblutung erſchlafft
und zuckend unter den Erinnerungen, die wie Ge¬
hirnbohrer die Seele betaſteten, endlich an der
Wand zuſammenſinken; aber ihr Geliebter faßte ſie
mit unausſprechlichem Mitleid auf und erhielt ſie
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/320>, abgerufen am 23.11.2024.
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