der sanften Wärme eines Sohnes entgegengeschlagen hatte. Ach wie wohl hätte es der kindlichen Brust, von der der bisherige Vater gestoßen war, in ihrem Sehnen gethan, ans mütterliche Herz gedrückt zu werden und von der Mutter die Worte zu hören: "guter Sohn, warum kömmst du so unglücklich und "so spät zu mir?" Aber er durfte nicht, weil er sonst den Schwur, die Abkunft Flamins unter der Decke des Geheimnisses zu lassen, gebrochen hätte.
Er sperrte sich vier Tage mit dem Blinden ins Sterbhaus ein -- er sah niemand -- besuchte das trauernde Kloster nicht, wo aus allen schönen Augen ähnliche Thränen flossen -- that Verzicht auf den duftenden Park und auf den blauen Himmel -- und ließ den Blumenflor des Verstorbenen nachwelken. -- -- Er tröstete den verlassenen Blinden und den ganzen Tag ruhten sie aneinander geschlungen und malten sich weinend ihren Lehrer und seine Lehren und die lichten Stunden ihrer Kindheit vor. -- Endlich am 4ten Tage führte er den Blinden auf immer aus dem schönen Maienthal -- die Abend¬ glocke sandte ihnen weit das Todtengeläute eines ganzen eingesargten Lebens nach -- Julius weinte laut -- aber Viktor hatte, nur ein feuchtes Auge und tröstete nicht sich, sondern den Blinden; denn seine Seele war jetzt anders als man errathen wird: seine Seele war erhöht über dieses Abend-Leben, sein Verstorbner hielt sie wie ein Genius hoch em¬
der ſanften Waͤrme eines Sohnes entgegengeſchlagen hatte. Ach wie wohl haͤtte es der kindlichen Bruſt, von der der bisherige Vater geſtoßen war, in ihrem Sehnen gethan, ans muͤtterliche Herz gedruͤckt zu werden und von der Mutter die Worte zu hoͤren: »guter Sohn, warum koͤmmſt du ſo ungluͤcklich und »ſo ſpaͤt zu mir?» Aber er durfte nicht, weil er ſonſt den Schwur, die Abkunft Flamins unter der Decke des Geheimniſſes zu laſſen, gebrochen haͤtte.
Er ſperrte ſich vier Tage mit dem Blinden ins Sterbhaus ein — er ſah niemand — beſuchte das trauernde Kloſter nicht, wo aus allen ſchoͤnen Augen aͤhnliche Thraͤnen floſſen — that Verzicht auf den duftenden Park und auf den blauen Himmel — und ließ den Blumenflor des Verſtorbenen nachwelken. — — Er troͤſtete den verlaſſenen Blinden und den ganzen Tag ruhten ſie aneinander geſchlungen und malten ſich weinend ihren Lehrer und ſeine Lehren und die lichten Stunden ihrer Kindheit vor. — Endlich am 4ten Tage fuͤhrte er den Blinden auf immer aus dem ſchoͤnen Maienthal — die Abend¬ glocke ſandte ihnen weit das Todtengelaͤute eines ganzen eingeſargten Lebens nach — Julius weinte laut — aber Viktor hatte, nur ein feuchtes Auge und troͤſtete nicht ſich, ſondern den Blinden; denn ſeine Seele war jetzt anders als man errathen wird: ſeine Seele war erhoͤht uͤber dieſes Abend-Leben, ſein Verſtorbner hielt ſie wie ein Genius hoch em¬
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der ſanften Waͤrme eines Sohnes entgegengeſchlagen
hatte. Ach wie wohl haͤtte es der kindlichen Bruſt,
von der der bisherige Vater geſtoßen war, in ihrem
Sehnen gethan, ans muͤtterliche Herz gedruͤckt zu
werden und von der Mutter die Worte zu hoͤren:
»guter Sohn, warum koͤmmſt du ſo ungluͤcklich und
»ſo ſpaͤt zu mir?» Aber er durfte nicht, weil er
ſonſt den Schwur, die Abkunft Flamins unter der
Decke des Geheimniſſes zu laſſen, gebrochen haͤtte.
Er ſperrte ſich vier Tage mit dem Blinden ins
Sterbhaus ein — er ſah niemand — beſuchte das
trauernde Kloſter nicht, wo aus allen ſchoͤnen Augen
aͤhnliche Thraͤnen floſſen — that Verzicht auf den
duftenden Park und auf den blauen Himmel — und
ließ den Blumenflor des Verſtorbenen nachwelken.
— — Er troͤſtete den verlaſſenen Blinden und den
ganzen Tag ruhten ſie aneinander geſchlungen und
malten ſich weinend ihren Lehrer und ſeine Lehren
und die lichten Stunden ihrer Kindheit vor. —
Endlich am 4ten Tage fuͤhrte er den Blinden auf
immer aus dem ſchoͤnen Maienthal — die Abend¬
glocke ſandte ihnen weit das Todtengelaͤute eines
ganzen eingeſargten Lebens nach — Julius weinte
laut — aber Viktor hatte, nur ein feuchtes Auge
und troͤſtete nicht ſich, ſondern den Blinden; denn
ſeine Seele war jetzt anders als man errathen wird:
ſeine Seele war erhoͤht uͤber dieſes Abend-Leben,
ſein Verſtorbner hielt ſie wie ein Genius hoch em¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/316>, abgerufen am 23.11.2024.
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