der Engel in dir ist ausgezogen und du fällst in die Erde zurück" -- Und hier umschlang er doch einmal die leere kalte Hülle und drückte das Herz, das ja nicht mehr schlug, ihn nicht mehr kannte, an sein heißes an: denn die Flötentöne rissen seine bleichen Wunden zu weit auseinander -- O es ist gut, daß bei dem Menschen, wenn er im grimmigen Weh zu festem Eiß erstarrt, keine Töne sind: die weichen Töne leckten aus der durchborten Brust alles trau¬ rige Blut und der Mensch würde an seinen Qualen sterben, weil er vermöchte, seine Qualen auszu¬ drücken. . . .
-- Hier falle mein Vorhang vor alle diese Sze¬ nen des Todes, vor Emanuels Grab und vor Ho¬ rions Schmerz! -- Ich und du mein Leser wollen nun aus dem fremden Sterbezimmer gehen, um in nähere zu schauen, wo wir selber erliegen, oder wo unsere Theuersten erlagen. Wir wollen in jenen Zimmern unser Todtenbette erblicken, aber unser Auge falle nicht nieder; -- die Flamme der Liebe und der Tugend lodert aufwärts über die Verwe¬ sungen -- wir sehen um das Todtenbette eine Bah¬ re als Ruhebank, auf die alle Lasten abgelegt sind und das auseinandergedrückte Herz auch -- wir sehen um das Todtenbette eine große unbekannte Gestalt, die vom Ebenbilde Gottes den Erden-Rahmen
der Engel in dir iſt ausgezogen und du faͤllſt in die Erde zuruͤck» — Und hier umſchlang er doch einmal die leere kalte Huͤlle und druͤckte das Herz, das ja nicht mehr ſchlug, ihn nicht mehr kannte, an ſein heißes an: denn die Floͤtentoͤne riſſen ſeine bleichen Wunden zu weit auseinander — O es iſt gut, daß bei dem Menſchen, wenn er im grimmigen Weh zu feſtem Eiß erſtarrt, keine Toͤne ſind: die weichen Toͤne leckten aus der durchborten Bruſt alles trau¬ rige Blut und der Menſch wuͤrde an ſeinen Qualen ſterben, weil er vermoͤchte, ſeine Qualen auszu¬ druͤcken. . . .
— Hier falle mein Vorhang vor alle dieſe Sze¬ nen des Todes, vor Emanuels Grab und vor Ho¬ rions Schmerz! — Ich und du mein Leſer wollen nun aus dem fremden Sterbezimmer gehen, um in naͤhere zu ſchauen, wo wir ſelber erliegen, oder wo unſere Theuerſten erlagen. Wir wollen in jenen Zimmern unſer Todtenbette erblicken, aber unſer Auge falle nicht nieder; — die Flamme der Liebe und der Tugend lodert aufwaͤrts uͤber die Verwe¬ ſungen — wir ſehen um das Todtenbette eine Bah¬ re als Ruhebank, auf die alle Laſten abgelegt ſind und das auseinandergedruͤckte Herz auch — wir ſehen um das Todtenbette eine große unbekannte Geſtalt, die vom Ebenbilde Gottes den Erden-Rahmen
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der Engel in dir iſt ausgezogen und du faͤllſt in die
Erde zuruͤck» — Und hier umſchlang er doch einmal
die leere kalte Huͤlle und druͤckte das Herz, das ja
nicht mehr ſchlug, ihn nicht mehr kannte, an ſein
heißes an: denn die Floͤtentoͤne riſſen ſeine bleichen
Wunden zu weit auseinander — O es iſt gut, daß
bei dem Menſchen, wenn er im grimmigen Weh zu
feſtem Eiß erſtarrt, keine Toͤne ſind: die weichen
Toͤne leckten aus der durchborten Bruſt alles trau¬
rige Blut und der Menſch wuͤrde an ſeinen Qualen
ſterben, weil er vermoͤchte, ſeine Qualen auszu¬
druͤcken. . . .
— Hier falle mein Vorhang vor alle dieſe Sze¬
nen des Todes, vor Emanuels Grab und vor Ho¬
rions Schmerz! — Ich und du mein Leſer wollen
nun aus dem fremden Sterbezimmer gehen, um in
naͤhere zu ſchauen, wo wir ſelber erliegen, oder wo
unſere Theuerſten erlagen. Wir wollen in jenen
Zimmern unſer Todtenbette erblicken, aber unſer
Auge falle nicht nieder; — die Flamme der Liebe
und der Tugend lodert aufwaͤrts uͤber die Verwe¬
ſungen — wir ſehen um das Todtenbette eine Bah¬
re als Ruhebank, auf die alle Laſten abgelegt ſind
und das auseinandergedruͤckte Herz auch — wir ſehen
um das Todtenbette eine große unbekannte Geſtalt,
die vom Ebenbilde Gottes den Erden-Rahmen
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/309>, abgerufen am 23.11.2024.
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