bricht -- Aber wenn das Herz groß wird neben un¬ serem Ruheort, so wird es weich neben dem frem¬ den -- Wenn du, mein Leser, und wenn ich jetzt mit dieser bewegten Seele in die Zimmer blicken, wo wir die ewigen Wunden der Erde empfingen, so werden uns die blassen Gestalten, die darin ihre Todtenaugen noch einmal gegen uns aufheben, zu sehr erschüttern und verwunden. -- Ach, das dürft ihr auch, ihr geliebten Stummen -- was haben wir euch denn noch zu geben als eine Thräne, die uns schmerzet, als einen Seufzer, der uns beklemmt -- -- Ach wenn der Trauerflor auf unserem Ange¬ sicht sobald zerreißet wie der Leichenschleier auf eurem -- wenn der Grabesmarmor mit eurem Na¬ men sich auf eurer Leiche umkehren muß, um eine neue mit ihrem neuen Namen zu bedecken -- o! wenn wir alle die ewige Liebe, das ewige Erinnern so leicht vergessen, das wir euch in eurer letzten Stunde versprochen haben: -- ach so ist ja in die¬ sen brausenden Tagen des Lebens eine stille Stunde wie diese heilig und schön, wo wir uns gleichsam an die eingefallnen Gräber mit den Ohren niederle¬ gen und tief aus der Erde, obwol jeden Tag dunk¬ ler, die Stimmen, die wir kennen, rufen hören: "vergesset uns nicht -- vergiß mich nicht, mein "Sohn -- mein Freund -- meine Geliebte, vergiß "mich nicht!" --
bricht — Aber wenn das Herz groß wird neben un¬ ſerem Ruheort, ſo wird es weich neben dem frem¬ den — Wenn du, mein Leſer, und wenn ich jetzt mit dieſer bewegten Seele in die Zimmer blicken, wo wir die ewigen Wunden der Erde empfingen, ſo werden uns die blaſſen Geſtalten, die darin ihre Todtenaugen noch einmal gegen uns aufheben, zu ſehr erſchuͤttern und verwunden. — Ach, das duͤrft ihr auch, ihr geliebten Stummen — was haben wir euch denn noch zu geben als eine Thraͤne, die uns ſchmerzet, als einen Seufzer, der uns beklemmt — — Ach wenn der Trauerflor auf unſerem Ange¬ ſicht ſobald zerreißet wie der Leichenſchleier auf eurem — wenn der Grabesmarmor mit eurem Na¬ men ſich auf eurer Leiche umkehren muß, um eine neue mit ihrem neuen Namen zu bedecken — o! wenn wir alle die ewige Liebe, das ewige Erinnern ſo leicht vergeſſen, das wir euch in eurer letzten Stunde verſprochen haben: — ach ſo iſt ja in die¬ ſen brauſenden Tagen des Lebens eine ſtille Stunde wie dieſe heilig und ſchoͤn, wo wir uns gleichſam an die eingefallnen Graͤber mit den Ohren niederle¬ gen und tief aus der Erde, obwol jeden Tag dunk¬ ler, die Stimmen, die wir kennen, rufen hoͤren: »vergeſſet uns nicht — vergiß mich nicht, mein »Sohn — mein Freund — meine Geliebte, vergiß »mich nicht!« —
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bricht — Aber wenn das Herz groß wird neben un¬
ſerem Ruheort, ſo wird es weich neben dem frem¬
den — Wenn du, mein Leſer, und wenn ich jetzt
mit dieſer bewegten Seele in die Zimmer blicken,
wo wir die ewigen Wunden der Erde empfingen, ſo
werden uns die blaſſen Geſtalten, die darin ihre
Todtenaugen noch einmal gegen uns aufheben, zu
ſehr erſchuͤttern und verwunden. — Ach, das duͤrft
ihr auch, ihr geliebten Stummen — was haben wir
euch denn noch zu geben als eine Thraͤne, die uns
ſchmerzet, als einen Seufzer, der uns beklemmt
— — Ach wenn der Trauerflor auf unſerem Ange¬
ſicht ſobald zerreißet wie der Leichenſchleier auf
eurem — wenn der Grabesmarmor mit eurem Na¬
men ſich auf eurer Leiche umkehren muß, um eine
neue mit ihrem neuen Namen zu bedecken — o!
wenn wir alle die ewige Liebe, das ewige Erinnern
ſo leicht vergeſſen, das wir euch in eurer letzten
Stunde verſprochen haben: — ach ſo iſt ja in die¬
ſen brauſenden Tagen des Lebens eine ſtille Stunde
wie dieſe heilig und ſchoͤn, wo wir uns gleichſam
an die eingefallnen Graͤber mit den Ohren niederle¬
gen und tief aus der Erde, obwol jeden Tag dunk¬
ler, die Stimmen, die wir kennen, rufen hoͤren:
»vergeſſet uns nicht — vergiß mich nicht, mein
»Sohn — mein Freund — meine Geliebte, vergiß
»mich nicht!« —
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/310>, abgerufen am 23.11.2024.
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