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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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"gen." -- Vor den Augen, die' sich an Sonnen
hefteten, schweiften blinkende Johanniswürmgen und
eine Fledermaus zischte nach einem grauen Nacht¬
schmetterling -- drei Johannisfeuer, vom Aberglau¬
ben angeschürt, zogen drei ferne Hügel aus der
Nacht -- alles Leben schlief unter seinem Blatt, un¬
ter seinem Zweig, näher an seiner Mutter und in
den herumgestreueten Träumen waren Gewitter --
Fische taumelten wie Leichen auf der Wasserfläche,
als Vorboten des Donners.

Plötzlich fing Emanuel mit einer unpassenden
nicht genug bezwungnen Stimme an: "wahrlich wir
"würden gefaßter neben dem Genius stehen, der die
"letzten Schlummerkörner auf die Augen unsrer Lie¬
"ben fallen läßt, wenn sie nachher nicht in Kirchen¬
"gewölben, in Kirchhöfen sondern auf Auen aus¬
"schliefen, unter dem Himmel oder als Mumien in
"Zimmern. . . . Jetzt, mein Geliebter (sie hörten
"schon das Wehen der Trauerbirke) herrsche also
"über deine Phantasie: du wirst neben der Birke
"meine Ruhehöle offen sehen -- ich habe sie seit
"vier Wochen mit Blumen ausgesäet und überklei¬
"det, die jetzt meistens blühen -- du legst mich mor¬
"gen ohne alles andre so in meinem Schlafklei¬
"de unter die Blumen -- und deck' es morgen zu
"-- gieb aber nicht, du Guter, meinem kleinen Blu¬
"menstück solche harte Namen wie andre Menschen

»gen.« — Vor den Augen, die' ſich an Sonnen
hefteten, ſchweiften blinkende Johanniswuͤrmgen und
eine Fledermaus ziſchte nach einem grauen Nacht¬
ſchmetterling — drei Johannisfeuer, vom Aberglau¬
ben angeſchuͤrt, zogen drei ferne Huͤgel aus der
Nacht — alles Leben ſchlief unter ſeinem Blatt, un¬
ter ſeinem Zweig, naͤher an ſeiner Mutter und in
den herumgeſtreueten Traͤumen waren Gewitter —
Fiſche taumelten wie Leichen auf der Waſſerflaͤche,
als Vorboten des Donners.

Ploͤtzlich fing Emanuel mit einer unpaſſenden
nicht genug bezwungnen Stimme an: »wahrlich wir
»wuͤrden gefaßter neben dem Genius ſtehen, der die
»letzten Schlummerkoͤrner auf die Augen unſrer Lie¬
»ben fallen laͤßt, wenn ſie nachher nicht in Kirchen¬
»gewoͤlben, in Kirchhoͤfen ſondern auf Auen aus¬
»ſchliefen, unter dem Himmel oder als Mumien in
»Zimmern. . . . Jetzt, mein Geliebter (ſie hoͤrten
»ſchon das Wehen der Trauerbirke) herrſche alſo
»uͤber deine Phantaſie: du wirſt neben der Birke
»meine Ruhehoͤle offen ſehen — ich habe ſie ſeit
»vier Wochen mit Blumen ausgeſaͤet und uͤberklei¬
»det, die jetzt meiſtens bluͤhen — du legſt mich mor¬
»gen ohne alles andre ſo in meinem Schlafklei¬
»de unter die Blumen — und deck' es morgen zu
»— gieb aber nicht, du Guter, meinem kleinen Blu¬
»menſtuͤck ſolche harte Namen wie andre Menſchen

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[270/0280] »gen.« — Vor den Augen, die' ſich an Sonnen hefteten, ſchweiften blinkende Johanniswuͤrmgen und eine Fledermaus ziſchte nach einem grauen Nacht¬ ſchmetterling — drei Johannisfeuer, vom Aberglau¬ ben angeſchuͤrt, zogen drei ferne Huͤgel aus der Nacht — alles Leben ſchlief unter ſeinem Blatt, un¬ ter ſeinem Zweig, naͤher an ſeiner Mutter und in den herumgeſtreueten Traͤumen waren Gewitter — Fiſche taumelten wie Leichen auf der Waſſerflaͤche, als Vorboten des Donners. Ploͤtzlich fing Emanuel mit einer unpaſſenden nicht genug bezwungnen Stimme an: »wahrlich wir »wuͤrden gefaßter neben dem Genius ſtehen, der die »letzten Schlummerkoͤrner auf die Augen unſrer Lie¬ »ben fallen laͤßt, wenn ſie nachher nicht in Kirchen¬ »gewoͤlben, in Kirchhoͤfen ſondern auf Auen aus¬ »ſchliefen, unter dem Himmel oder als Mumien in »Zimmern. . . . Jetzt, mein Geliebter (ſie hoͤrten »ſchon das Wehen der Trauerbirke) herrſche alſo »uͤber deine Phantaſie: du wirſt neben der Birke »meine Ruhehoͤle offen ſehen — ich habe ſie ſeit »vier Wochen mit Blumen ausgeſaͤet und uͤberklei¬ »det, die jetzt meiſtens bluͤhen — du legſt mich mor¬ »gen ohne alles andre ſo in meinem Schlafklei¬ »de unter die Blumen — und deck' es morgen zu »— gieb aber nicht, du Guter, meinem kleinen Blu¬ »menſtuͤck ſolche harte Namen wie andre Menſchen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/280>, abgerufen am 17.05.2024.