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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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Klotilde in tausend Schmerzen -- die Gegenwart
schwül und eng. Um ihn ging ein unreifes Gewit¬
ter herum und wie an den Tag- und Nachtgleichen,
ruhten die Wolken unbeweglich wie ein großer Ne¬
bel über ihm und das verborgne Arbeiten im hohen
Gewölke des Schicksals hatte noch nicht das Zusam¬
menfließen in Thränen entschieden oder das Zerthei¬
len in Blau.

Endlich ging er nach St. Lüne . . . Warlich
nur wehmüthig-beglückt! O! konnt' er auf den
Lüner Fußsteig blicken oder auf das Pfarrhaus, das
die Bühnen der begrabnen Freundschaft bedeckte, oh¬
ne das Auge überfließend abzuwenden, ohne daran
zu denken, wie viel eitler das Lieben als das Leben
der Menschen sey, wie das Schicksal gerade die
wärmsten Herzen zur Zerstörung der besten anwende,
(so wie man nur Brennspiegel zum Einäschern der
Edelsteine gebraucht) und wie manche stille Brust
nichts ist als der gesunkne Sarg eines erblaßten ge¬
liebten Bildes? -- Es ist ein namenloses Gefühl,
einen Freund lieben zu wollen aus Erinnerung und
ihn fliehen zu müssen aus Ehre: Viktor wünschte,
er dürfte seinem bethörten Liebling vergeben; aber
vergeblich: das arsenikalische Wort das mich in sei¬
nem Namen schmerzt, blieb trotz aller, aller versüs¬
senden Säfte, mit denen er's einwickelte, doch un¬
aufgelöset und fressend und tödlich in seiner Seele

Klotilde in tauſend Schmerzen — die Gegenwart
ſchwuͤl und eng. Um ihn ging ein unreifes Gewit¬
ter herum und wie an den Tag- und Nachtgleichen,
ruhten die Wolken unbeweglich wie ein großer Ne¬
bel uͤber ihm und das verborgne Arbeiten im hohen
Gewoͤlke des Schickſals hatte noch nicht das Zuſam¬
menfließen in Thraͤnen entſchieden oder das Zerthei¬
len in Blau.

Endlich ging er nach St. Luͤne . . . Warlich
nur wehmuͤthig-begluͤckt! O! konnt' er auf den
Luͤner Fußſteig blicken oder auf das Pfarrhaus, das
die Buͤhnen der begrabnen Freundſchaft bedeckte, oh¬
ne das Auge uͤberfließend abzuwenden, ohne daran
zu denken, wie viel eitler das Lieben als das Leben
der Menſchen ſey, wie das Schickſal gerade die
waͤrmſten Herzen zur Zerſtoͤrung der beſten anwende,
(ſo wie man nur Brennſpiegel zum Einaͤſchern der
Edelſteine gebraucht) und wie manche ſtille Bruſt
nichts iſt als der geſunkne Sarg eines erblaßten ge¬
liebten Bildes? — Es iſt ein namenloſes Gefuͤhl,
einen Freund lieben zu wollen aus Erinnerung und
ihn fliehen zu muͤſſen aus Ehre: Viktor wuͤnſchte,
er duͤrfte ſeinem bethoͤrten Liebling vergeben; aber
vergeblich: das arſenikaliſche Wort das mich in ſei¬
nem Namen ſchmerzt, blieb trotz aller, aller verſuͤſ¬
ſenden Saͤfte, mit denen er's einwickelte, doch un¬
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[244/0254] Klotilde in tauſend Schmerzen — die Gegenwart ſchwuͤl und eng. Um ihn ging ein unreifes Gewit¬ ter herum und wie an den Tag- und Nachtgleichen, ruhten die Wolken unbeweglich wie ein großer Ne¬ bel uͤber ihm und das verborgne Arbeiten im hohen Gewoͤlke des Schickſals hatte noch nicht das Zuſam¬ menfließen in Thraͤnen entſchieden oder das Zerthei¬ len in Blau. Endlich ging er nach St. Luͤne . . . Warlich nur wehmuͤthig-begluͤckt! O! konnt' er auf den Luͤner Fußſteig blicken oder auf das Pfarrhaus, das die Buͤhnen der begrabnen Freundſchaft bedeckte, oh¬ ne das Auge uͤberfließend abzuwenden, ohne daran zu denken, wie viel eitler das Lieben als das Leben der Menſchen ſey, wie das Schickſal gerade die waͤrmſten Herzen zur Zerſtoͤrung der beſten anwende, (ſo wie man nur Brennſpiegel zum Einaͤſchern der Edelſteine gebraucht) und wie manche ſtille Bruſt nichts iſt als der geſunkne Sarg eines erblaßten ge¬ liebten Bildes? — Es iſt ein namenloſes Gefuͤhl, einen Freund lieben zu wollen aus Erinnerung und ihn fliehen zu muͤſſen aus Ehre: Viktor wuͤnſchte, er duͤrfte ſeinem bethoͤrten Liebling vergeben; aber vergeblich: das arſenikaliſche Wort das mich in ſei¬ nem Namen ſchmerzt, blieb trotz aller, aller verſuͤſ¬ ſenden Saͤfte, mit denen er's einwickelte, doch un¬ aufgeloͤſet und freſſend und toͤdlich in ſeiner Seele

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/254>, abgerufen am 19.05.2024.