"keine zermalmende Gestalt, sondern lächle wie die "Menschen und drehe still mein Herz ab." -- Da stand die verhüllte Gestalt auf und kam -- Emanuel grif wild nach seinem Freund, hüllte sich in das An¬ gesicht desselben und sagte angedrückt: "An dir sterb' "ich, an deinem warmen Herzen -- o lebe glücklich, "wenn du nicht mit mir erkaltest, ach! ziehe mit!" ..
"Ach, Klotilde:" -- sagte Viktor: denn sie war die Gestalt. Sie war stumm wie das Geisterreich, denn die besuchte Todte umklammerte noch ihr Herz; aber sie war groß wie ein Geist daraus: denn der ätherische Lichtnebel des Mondes, der Stand auf Todten, der Blick in die Ewigkeit, die hohe Nacht und die Trauer erhoben ihre Seele und man vergaß fast, daß sie weinte. -- Emanuel hielt seine Flügel noch ausgebreitet über die Szene und schauete erha¬ ben über die Gräber: "Wie alles hier schläft und "ruht auf dem großen grünen Todtenbette! Ich "möchte darauf erliegen -- Sprach jetzt nichts? -- "Die Gedanken der Menschen sind Worte der Gei¬ "ster -- Wir sind schleichende Nachtvögel im däm¬ "mernden Dunstkreis, wir sind stumme Nachtwand¬ "ler, die in diese Hölen fallen, wenn sie erwachen "-- Ihr Todten! verstäubet nicht so stumm, ihr "Geister, die ihr aus euren begrabnen Herzen "zieht, flattert nicht so durchsichtig um uns! -- -- "O der Mensch wäre auf der Erde eitel und Asche
»keine zermalmende Geſtalt, ſondern laͤchle wie die »Menſchen und drehe ſtill mein Herz ab.« — Da ſtand die verhuͤllte Geſtalt auf und kam — Emanuel grif wild nach ſeinem Freund, huͤllte ſich in das An¬ geſicht deſſelben und ſagte angedruͤckt: »An dir ſterb' »ich, an deinem warmen Herzen — o lebe gluͤcklich, »wenn du nicht mit mir erkalteſt, ach! ziehe mit!« ..
»Ach, Klotilde:« — ſagte Viktor: denn ſie war die Geſtalt. Sie war ſtumm wie das Geiſterreich, denn die beſuchte Todte umklammerte noch ihr Herz; aber ſie war groß wie ein Geiſt daraus: denn der aͤtheriſche Lichtnebel des Mondes, der Stand auf Todten, der Blick in die Ewigkeit, die hohe Nacht und die Trauer erhoben ihre Seele und man vergaß faſt, daß ſie weinte. — Emanuel hielt ſeine Fluͤgel noch ausgebreitet uͤber die Szene und ſchauete erha¬ ben uͤber die Graͤber: »Wie alles hier ſchlaͤft und »ruht auf dem großen gruͤnen Todtenbette! Ich »moͤchte darauf erliegen — Sprach jetzt nichts? — »Die Gedanken der Menſchen ſind Worte der Gei¬ »ſter — Wir ſind ſchleichende Nachtvoͤgel im daͤm¬ »mernden Dunſtkreis, wir ſind ſtumme Nachtwand¬ »ler, die in dieſe Hoͤlen fallen, wenn ſie erwachen »— Ihr Todten! verſtaͤubet nicht ſo ſtumm, ihr »Geiſter, die ihr aus euren begrabnen Herzen »zieht, flattert nicht ſo durchſichtig um uns! — — »O der Menſch waͤre auf der Erde eitel und Aſche
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»keine zermalmende Geſtalt, ſondern laͤchle wie die
»Menſchen und drehe ſtill mein Herz ab.« — Da
ſtand die verhuͤllte Geſtalt auf und kam — Emanuel
grif wild nach ſeinem Freund, huͤllte ſich in das An¬
geſicht deſſelben und ſagte angedruͤckt: »An dir ſterb'
»ich, an deinem warmen Herzen — o lebe gluͤcklich,
»wenn du nicht mit mir erkalteſt, ach! ziehe mit!« ..
»Ach, Klotilde:« — ſagte Viktor: denn ſie war
die Geſtalt. Sie war ſtumm wie das Geiſterreich,
denn die beſuchte Todte umklammerte noch ihr Herz;
aber ſie war groß wie ein Geiſt daraus: denn der
aͤtheriſche Lichtnebel des Mondes, der Stand auf
Todten, der Blick in die Ewigkeit, die hohe Nacht
und die Trauer erhoben ihre Seele und man vergaß
faſt, daß ſie weinte. — Emanuel hielt ſeine Fluͤgel
noch ausgebreitet uͤber die Szene und ſchauete erha¬
ben uͤber die Graͤber: »Wie alles hier ſchlaͤft und
»ruht auf dem großen gruͤnen Todtenbette! Ich
»moͤchte darauf erliegen — Sprach jetzt nichts? —
»Die Gedanken der Menſchen ſind Worte der Gei¬
»ſter — Wir ſind ſchleichende Nachtvoͤgel im daͤm¬
»mernden Dunſtkreis, wir ſind ſtumme Nachtwand¬
»ler, die in dieſe Hoͤlen fallen, wenn ſie erwachen
»— Ihr Todten! verſtaͤubet nicht ſo ſtumm, ihr
»Geiſter, die ihr aus euren begrabnen Herzen
»zieht, flattert nicht ſo durchſichtig um uns! — —
»O der Menſch waͤre auf der Erde eitel und Aſche
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/230>, abgerufen am 21.11.2024.
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