die Gegenden um ihren Weg . . . die Menschen fahren aus dem Fußboden wie stumme Knechte, wie Maschinen zur Bedienung, und fallen wieder hinun¬ ter, wenn sie abgeleeret sind . . . Das Menschen¬ geschlecht zieht wie ein fliegender Sommer durch den Sonnenschein und das bethauete Gewebe hängt sich flatternd an zwei Welten an und in der Nacht ver¬ gehts . . . So dachten die zwei Menschen auf der Walfahrt zur Todten -- sie wunderten sich über ih¬ re eigne schwere Verkörperung und über das Ge¬ räusch ihrer Tritte. -- Emanuel knüpfte seinen Blick auf die verschleierte Gestalt, die jetzt niederkniete -- er dachte, sie höre seine Gedanken und fliege zu sei¬ nem Herzen durch das Mondlicht herüber. . .
Die Brust der zwei Menschen hob sich gleichsam unter zwei Leichensteinen auf und nieder, da sie die übergraßten langen Stufen zum Kirchhof aufstiegen und das schwere Thor, das mit verwitterten, wegge¬ waschenen Auferstandenen angemalet war, berührten und aufdrehten. -- Das warme Erdenblut friert ein und das weiche Gehirn gerint zu einem einzigen Schreckenbilde, wenn von der Ewigkeit und von der Pforte der Geisterwelt die große Wolke wegrückt: Emanuel rief auf der Bühne der Todten wie ausser sich: "schauderhafter Geist, ich bin ein Geist wie "du, du stehst auch unter Gott, willst du mich töd¬ "ten: so tödte mich durch keinen Schauer, durch
die Gegenden um ihren Weg . . . die Menſchen fahren aus dem Fußboden wie ſtumme Knechte, wie Maſchinen zur Bedienung, und fallen wieder hinun¬ ter, wenn ſie abgeleeret ſind . . . Das Menſchen¬ geſchlecht zieht wie ein fliegender Sommer durch den Sonnenſchein und das bethauete Gewebe haͤngt ſich flatternd an zwei Welten an und in der Nacht ver¬ gehts . . . So dachten die zwei Menſchen auf der Walfahrt zur Todten — ſie wunderten ſich uͤber ih¬ re eigne ſchwere Verkoͤrperung und uͤber das Ge¬ raͤuſch ihrer Tritte. — Emanuel knuͤpfte ſeinen Blick auf die verſchleierte Geſtalt, die jetzt niederkniete — er dachte, ſie hoͤre ſeine Gedanken und fliege zu ſei¬ nem Herzen durch das Mondlicht heruͤber. . .
Die Bruſt der zwei Menſchen hob ſich gleichſam unter zwei Leichenſteinen auf und nieder, da ſie die uͤbergraßten langen Stufen zum Kirchhof aufſtiegen und das ſchwere Thor, das mit verwitterten, wegge¬ waſchenen Auferſtandenen angemalet war, beruͤhrten und aufdrehten. — Das warme Erdenblut friert ein und das weiche Gehirn gerint zu einem einzigen Schreckenbilde, wenn von der Ewigkeit und von der Pforte der Geiſterwelt die große Wolke wegruͤckt: Emanuel rief auf der Buͤhne der Todten wie auſſer ſich: »ſchauderhafter Geiſt, ich bin ein Geiſt wie »du, du ſtehſt auch unter Gott, willſt du mich toͤd¬ »ten: ſo toͤdte mich durch keinen Schauer, durch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0229"n="219"/>
die Gegenden um ihren Weg . . . die Menſchen<lb/>
fahren aus dem Fußboden wie ſtumme Knechte, wie<lb/>
Maſchinen zur Bedienung, und fallen wieder hinun¬<lb/>
ter, wenn ſie abgeleeret ſind . . . Das Menſchen¬<lb/>
geſchlecht zieht wie ein fliegender Sommer durch den<lb/>
Sonnenſchein und das bethauete Gewebe haͤngt ſich<lb/>
flatternd an zwei Welten an und in der Nacht ver¬<lb/>
gehts . . . So dachten die zwei Menſchen auf der<lb/>
Walfahrt zur Todten —ſie wunderten ſich uͤber ih¬<lb/>
re eigne ſchwere Verkoͤrperung und uͤber das Ge¬<lb/>
raͤuſch ihrer Tritte. — Emanuel knuͤpfte ſeinen Blick<lb/>
auf die verſchleierte Geſtalt, die jetzt niederkniete —<lb/>
er dachte, ſie hoͤre ſeine Gedanken und fliege zu ſei¬<lb/>
nem Herzen durch das Mondlicht heruͤber. . .</p><lb/><p>Die Bruſt der zwei Menſchen hob ſich gleichſam<lb/>
unter zwei Leichenſteinen auf und nieder, da ſie die<lb/>
uͤbergraßten langen Stufen zum Kirchhof aufſtiegen<lb/>
und das ſchwere Thor, das mit verwitterten, wegge¬<lb/>
waſchenen Auferſtandenen angemalet war, beruͤhrten<lb/>
und aufdrehten. — Das warme Erdenblut friert ein<lb/>
und das weiche Gehirn gerint zu einem einzigen<lb/>
Schreckenbilde, wenn von der Ewigkeit und von der<lb/>
Pforte der Geiſterwelt die große Wolke wegruͤckt:<lb/>
Emanuel rief auf der Buͤhne der Todten wie auſſer<lb/>ſich: »ſchauderhafter Geiſt, ich bin ein Geiſt wie<lb/>
»du, du ſtehſt auch unter Gott, willſt du mich toͤd¬<lb/>
»ten: ſo toͤdte mich durch keinen Schauer, durch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[219/0229]
die Gegenden um ihren Weg . . . die Menſchen
fahren aus dem Fußboden wie ſtumme Knechte, wie
Maſchinen zur Bedienung, und fallen wieder hinun¬
ter, wenn ſie abgeleeret ſind . . . Das Menſchen¬
geſchlecht zieht wie ein fliegender Sommer durch den
Sonnenſchein und das bethauete Gewebe haͤngt ſich
flatternd an zwei Welten an und in der Nacht ver¬
gehts . . . So dachten die zwei Menſchen auf der
Walfahrt zur Todten — ſie wunderten ſich uͤber ih¬
re eigne ſchwere Verkoͤrperung und uͤber das Ge¬
raͤuſch ihrer Tritte. — Emanuel knuͤpfte ſeinen Blick
auf die verſchleierte Geſtalt, die jetzt niederkniete —
er dachte, ſie hoͤre ſeine Gedanken und fliege zu ſei¬
nem Herzen durch das Mondlicht heruͤber. . .
Die Bruſt der zwei Menſchen hob ſich gleichſam
unter zwei Leichenſteinen auf und nieder, da ſie die
uͤbergraßten langen Stufen zum Kirchhof aufſtiegen
und das ſchwere Thor, das mit verwitterten, wegge¬
waſchenen Auferſtandenen angemalet war, beruͤhrten
und aufdrehten. — Das warme Erdenblut friert ein
und das weiche Gehirn gerint zu einem einzigen
Schreckenbilde, wenn von der Ewigkeit und von der
Pforte der Geiſterwelt die große Wolke wegruͤckt:
Emanuel rief auf der Buͤhne der Todten wie auſſer
ſich: »ſchauderhafter Geiſt, ich bin ein Geiſt wie
»du, du ſtehſt auch unter Gott, willſt du mich toͤd¬
»ten: ſo toͤdte mich durch keinen Schauer, durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/229>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.