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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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ganze zweite Welt voll auferstandner Seelen. End¬
lich erhohlte sich Klotilde, kehrte um vor der Nach¬
tigal und gab das traurige Zeichen der Trennung.
-- Viktor stand am Ufer seiner bisherigen glückseli¬
gen Insel -- alles, alles war nun vorüber -- er
blieb stehen, nahm ihre zwei Hände, konnte sie noch
nicht anschauen vor Schmerz, bog sich mit Thränen
nieder gegen ihre Schulter, richtete sich auf als er
leise reden konnte: "Lebe wohl -- mehr kann mein
"schweres Herz nicht -- recht wohl lebe, viel besser
"als ich -- weine nicht so oft wie sonst, damit du
"mich nicht etwan verlassen mußt. -- Denn ich gin¬
"ge dann auch." -- Lauter und feierlicher fuhr er
fort: "denn wir können nicht mehr geschieden wer¬
"den -- hier unter der Ewigkeit reich' ich dir mein
"Herz -- und wenn es dich vergisset: so zerquetsch'
"es ein Schmerz, der über die zwei Welten reicht
".... (Leiser und zärtlicher) Weine morgen nicht,
"Engel -- und die Vorsehung gebe dir Ruhe." --
Wie ein Verklärter an eine Verklärte neigte er sich
zurückgezogen an ihren heiligen Mund und nahm in
einem leisen andächtigen Kusse, in dem die schwe¬
benden Seelen nur von Ferne mit aufgeschlagnen
Flügeln zitternd einander entgegen wehen, mit leiser
Berührung von den zerflossenen weichenden Lippen
die Versieglung ihrer reinen Liebe, die Wiederho¬

ganze zweite Welt voll auferſtandner Seelen. End¬
lich erhohlte ſich Klotilde, kehrte um vor der Nach¬
tigal und gab das traurige Zeichen der Trennung.
— Viktor ſtand am Ufer ſeiner bisherigen gluͤckſeli¬
gen Inſel — alles, alles war nun voruͤber — er
blieb ſtehen, nahm ihre zwei Haͤnde, konnte ſie noch
nicht anſchauen vor Schmerz, bog ſich mit Thraͤnen
nieder gegen ihre Schulter, richtete ſich auf als er
leiſe reden konnte: »Lebe wohl — mehr kann mein
»ſchweres Herz nicht — recht wohl lebe, viel beſſer
»als ich — weine nicht ſo oft wie ſonſt, damit du
»mich nicht etwan verlaſſen mußt. — Denn ich gin¬
»ge dann auch.» — Lauter und feierlicher fuhr er
fort: »denn wir koͤnnen nicht mehr geſchieden wer¬
»den — hier unter der Ewigkeit reich' ich dir mein
»Herz — und wenn es dich vergiſſet: ſo zerquetſch'
»es ein Schmerz, der uͤber die zwei Welten reicht
».... (Leiſer und zaͤrtlicher) Weine morgen nicht,
»Engel — und die Vorſehung gebe dir Ruhe.» —
Wie ein Verklaͤrter an eine Verklaͤrte neigte er ſich
zuruͤckgezogen an ihren heiligen Mund und nahm in
einem leiſen andaͤchtigen Kuſſe, in dem die ſchwe¬
benden Seelen nur von Ferne mit aufgeſchlagnen
Fluͤgeln zitternd einander entgegen wehen, mit leiſer
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die Verſieglung ihrer reinen Liebe, die Wiederho¬

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[113/0223] ganze zweite Welt voll auferſtandner Seelen. End¬ lich erhohlte ſich Klotilde, kehrte um vor der Nach¬ tigal und gab das traurige Zeichen der Trennung. — Viktor ſtand am Ufer ſeiner bisherigen gluͤckſeli¬ gen Inſel — alles, alles war nun voruͤber — er blieb ſtehen, nahm ihre zwei Haͤnde, konnte ſie noch nicht anſchauen vor Schmerz, bog ſich mit Thraͤnen nieder gegen ihre Schulter, richtete ſich auf als er leiſe reden konnte: »Lebe wohl — mehr kann mein »ſchweres Herz nicht — recht wohl lebe, viel beſſer »als ich — weine nicht ſo oft wie ſonſt, damit du »mich nicht etwan verlaſſen mußt. — Denn ich gin¬ »ge dann auch.» — Lauter und feierlicher fuhr er fort: »denn wir koͤnnen nicht mehr geſchieden wer¬ »den — hier unter der Ewigkeit reich' ich dir mein »Herz — und wenn es dich vergiſſet: ſo zerquetſch' »es ein Schmerz, der uͤber die zwei Welten reicht ».... (Leiſer und zaͤrtlicher) Weine morgen nicht, »Engel — und die Vorſehung gebe dir Ruhe.» — Wie ein Verklaͤrter an eine Verklaͤrte neigte er ſich zuruͤckgezogen an ihren heiligen Mund und nahm in einem leiſen andaͤchtigen Kuſſe, in dem die ſchwe¬ benden Seelen nur von Ferne mit aufgeſchlagnen Fluͤgeln zitternd einander entgegen wehen, mit leiſer Beruͤhrung von den zerfloſſenen weichenden Lippen die Verſieglung ihrer reinen Liebe, die Wiederho¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/223>, abgerufen am 03.05.2024.