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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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"gern: denn auch diese verlasse sie bald." -- Er
schied mit einer gerührten Achtung von ihr: denn
sein weiches Herz wußte eben so gut hinter der
Spitzenmaske der Feinheit und Welt, als hinter der
Leder-Kruste der Rohheit das fremde weiche aus¬
zufühlen.

Als er freilich in den Garten eilte: stiegen die
Thränen seines Herzens höher und wärmer -- und
ihm war als müßte er den im Angesichte der Sonne
aufgehenden Mond umschließen, als er dachte! "ach
"wenn deine bleiche Flocke heute lichter droben
"hängt, wenn du allein niederschauest, bin ich ge¬
"schieden von meiner Schäferwelt oder scheide noch."
-- Und unten ruhte neben der Nachtigallenhecke sein
Julius, der helle Thränenströme vergoß -- denn die¬
ser ganze Abend wimmelt von immer größern Meer¬
wundern des Zufalls -- er eilt zu ihm herab, der
Brief des sogenannten Engels ist geöfnet in seiner
Hand, Viktor sagt leise: Julius, warum weinest
du so?" -- O Gott, sagte dieser gebrochen: "führe
"mich unter eine Laube!" -- Er leitete ihn zur
überflorten. Julius sagte darin: "recht! hier brennt
"die Sonne nicht!" und schlug den rechten Arm um
Viktor und gab ihm den Brief und legte den Arm
herum bis an sein Herz und sagte: du guter Mensch!

»gern: denn auch dieſe verlaſſe ſie bald.» — Er
ſchied mit einer geruͤhrten Achtung von ihr: denn
ſein weiches Herz wußte eben ſo gut hinter der
Spitzenmaske der Feinheit und Welt, als hinter der
Leder-Kruſte der Rohheit das fremde weiche aus¬
zufuͤhlen.

Als er freilich in den Garten eilte: ſtiegen die
Thraͤnen ſeines Herzens hoͤher und waͤrmer — und
ihm war als muͤßte er den im Angeſichte der Sonne
aufgehenden Mond umſchließen, als er dachte! »ach
»wenn deine bleiche Flocke heute lichter droben
»haͤngt, wenn du allein niederſchaueſt, bin ich ge¬
»ſchieden von meiner Schaͤferwelt oder ſcheide noch.»
— Und unten ruhte neben der Nachtigallenhecke ſein
Julius, der helle Thraͤnenſtroͤme vergoß — denn die¬
ſer ganze Abend wimmelt von immer groͤßern Meer¬
wundern des Zufalls — er eilt zu ihm herab, der
Brief des ſogenannten Engels iſt geoͤfnet in ſeiner
Hand, Viktor ſagt leiſe: Julius, warum weineſt
du ſo?» — O Gott, ſagte dieſer gebrochen: »fuͤhre
»mich unter eine Laube!» — Er leitete ihn zur
uͤberflorten. Julius ſagte darin: »recht! hier brennt
»die Sonne nicht!» und ſchlug den rechten Arm um
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[203/0213] »gern: denn auch dieſe verlaſſe ſie bald.» — Er ſchied mit einer geruͤhrten Achtung von ihr: denn ſein weiches Herz wußte eben ſo gut hinter der Spitzenmaske der Feinheit und Welt, als hinter der Leder-Kruſte der Rohheit das fremde weiche aus¬ zufuͤhlen. Als er freilich in den Garten eilte: ſtiegen die Thraͤnen ſeines Herzens hoͤher und waͤrmer — und ihm war als muͤßte er den im Angeſichte der Sonne aufgehenden Mond umſchließen, als er dachte! »ach »wenn deine bleiche Flocke heute lichter droben »haͤngt, wenn du allein niederſchaueſt, bin ich ge¬ »ſchieden von meiner Schaͤferwelt oder ſcheide noch.» — Und unten ruhte neben der Nachtigallenhecke ſein Julius, der helle Thraͤnenſtroͤme vergoß — denn die¬ ſer ganze Abend wimmelt von immer groͤßern Meer¬ wundern des Zufalls — er eilt zu ihm herab, der Brief des ſogenannten Engels iſt geoͤfnet in ſeiner Hand, Viktor ſagt leiſe: Julius, warum weineſt du ſo?» — O Gott, ſagte dieſer gebrochen: »fuͤhre »mich unter eine Laube!» — Er leitete ihn zur uͤberflorten. Julius ſagte darin: »recht! hier brennt »die Sonne nicht!» und ſchlug den rechten Arm um Viktor und gab ihm den Brief und legte den Arm herum bis an ſein Herz und ſagte: du guter Menſch!

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/213>, abgerufen am 03.05.2024.