Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

wurfshügel eingelaufen" aber er setzte hinzu: "heu¬
"te frag' ich nach nichts."

Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thränen.
Dieser sagte ihm, daß sich das erste Glied der ge¬
strigen Blumenkette, nämlich der Britte mit seinen
Leuten, schon in der Nacht abgelöset habe. Aber je
länger er Emanuel ansah und an morgen dachte --
denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬
thüre dieses Paradieses leise hinter sich zu, heute
Nachmittags nimmt er von der Aebtissin und Abends
von der Geliebten Abschied, um diese nicht im Ab¬
lesen der bekannten Engels-Epistel zu hemmen --
desto drückender waren seine Augen gespannt und er
ging lieber mit einem sich selber vollblutenden Her¬
zen hinaus ins Freie und führte den Blinden mit,
der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man
ohnehin wie vor einem Kinde gern sein Innerstes
entkleidete.

Aber diesesmal war Julius in derselben Erwei¬
chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in
seiner dämmernden Seele spielen und fliegen sehen.
Die Sehnsucht nach dem Engel brütete sein ruhen¬
des Herz zum Pochen an und er sagte mit einem
ungewöhnlichen Schmerz: "wenn ich nur sehen könn¬
"te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!"
Die überstäubten Erinnerungen an seine Kindheit
wurden aufgeschüttelt; und aus dieser in Wolken

wurfshuͤgel eingelaufen» aber er ſetzte hinzu: »heu¬
»te frag' ich nach nichts.»

Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thraͤnen.
Dieſer ſagte ihm, daß ſich das erſte Glied der ge¬
ſtrigen Blumenkette, naͤmlich der Britte mit ſeinen
Leuten, ſchon in der Nacht abgeloͤſet habe. Aber je
laͤnger er Emanuel anſah und an morgen dachte —
denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬
thuͤre dieſes Paradieſes leiſe hinter ſich zu, heute
Nachmittags nimmt er von der Aebtiſſin und Abends
von der Geliebten Abſchied, um dieſe nicht im Ab¬
leſen der bekannten Engels-Epiſtel zu hemmen —
deſto druͤckender waren ſeine Augen geſpannt und er
ging lieber mit einem ſich ſelber vollblutenden Her¬
zen hinaus ins Freie und fuͤhrte den Blinden mit,
der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man
ohnehin wie vor einem Kinde gern ſein Innerſtes
entkleidete.

Aber dieſesmal war Julius in derſelben Erwei¬
chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in
ſeiner daͤmmernden Seele ſpielen und fliegen ſehen.
Die Sehnſucht nach dem Engel bruͤtete ſein ruhen¬
des Herz zum Pochen an und er ſagte mit einem
ungewoͤhnlichen Schmerz: »wenn ich nur ſehen koͤnn¬
»te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!»
Die uͤberſtaͤubten Erinnerungen an ſeine Kindheit
wurden aufgeſchuͤttelt; und aus dieſer in Wolken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="198"/>
wurfshu&#x0364;gel eingelaufen» aber er &#x017F;etzte hinzu: »heu¬<lb/>
»te frag' ich nach nichts.»</p><lb/>
          <p>Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thra&#x0364;nen.<lb/>
Die&#x017F;er &#x017F;agte ihm, daß &#x017F;ich das er&#x017F;te Glied der ge¬<lb/>
&#x017F;trigen Blumenkette, na&#x0364;mlich der Britte mit &#x017F;einen<lb/>
Leuten, &#x017F;chon in der Nacht abgelo&#x0364;&#x017F;et habe. Aber je<lb/>
la&#x0364;nger er Emanuel an&#x017F;ah und an morgen dachte &#x2014;<lb/>
denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬<lb/>
thu&#x0364;re die&#x017F;es Paradie&#x017F;es lei&#x017F;e hinter &#x017F;ich zu, heute<lb/>
Nachmittags nimmt er von der Aebti&#x017F;&#x017F;in und Abends<lb/>
von der Geliebten Ab&#x017F;chied, um die&#x017F;e nicht im Ab¬<lb/>
le&#x017F;en der bekannten Engels-Epi&#x017F;tel zu hemmen &#x2014;<lb/>
de&#x017F;to dru&#x0364;ckender waren &#x017F;eine Augen ge&#x017F;pannt und er<lb/>
ging lieber mit einem &#x017F;ich &#x017F;elber vollblutenden Her¬<lb/>
zen hinaus ins Freie und fu&#x0364;hrte den Blinden mit,<lb/>
der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man<lb/>
ohnehin wie vor einem Kinde gern &#x017F;ein Inner&#x017F;tes<lb/>
entkleidete.</p><lb/>
          <p>Aber die&#x017F;esmal war Julius in der&#x017F;elben Erwei¬<lb/>
chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in<lb/>
&#x017F;einer da&#x0364;mmernden Seele &#x017F;pielen und fliegen &#x017F;ehen.<lb/>
Die Sehn&#x017F;ucht nach dem Engel bru&#x0364;tete &#x017F;ein ruhen¬<lb/>
des Herz zum Pochen an und er &#x017F;agte mit einem<lb/>
ungewo&#x0364;hnlichen Schmerz: »wenn ich nur &#x017F;ehen ko&#x0364;nn¬<lb/>
»te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!»<lb/>
Die u&#x0364;ber&#x017F;ta&#x0364;ubten Erinnerungen an &#x017F;eine Kindheit<lb/>
wurden aufge&#x017F;chu&#x0364;ttelt; und aus die&#x017F;er in Wolken<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0208] wurfshuͤgel eingelaufen» aber er ſetzte hinzu: »heu¬ »te frag' ich nach nichts.» Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thraͤnen. Dieſer ſagte ihm, daß ſich das erſte Glied der ge¬ ſtrigen Blumenkette, naͤmlich der Britte mit ſeinen Leuten, ſchon in der Nacht abgeloͤſet habe. Aber je laͤnger er Emanuel anſah und an morgen dachte — denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬ thuͤre dieſes Paradieſes leiſe hinter ſich zu, heute Nachmittags nimmt er von der Aebtiſſin und Abends von der Geliebten Abſchied, um dieſe nicht im Ab¬ leſen der bekannten Engels-Epiſtel zu hemmen — deſto druͤckender waren ſeine Augen geſpannt und er ging lieber mit einem ſich ſelber vollblutenden Her¬ zen hinaus ins Freie und fuͤhrte den Blinden mit, der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man ohnehin wie vor einem Kinde gern ſein Innerſtes entkleidete. Aber dieſesmal war Julius in derſelben Erwei¬ chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in ſeiner daͤmmernden Seele ſpielen und fliegen ſehen. Die Sehnſucht nach dem Engel bruͤtete ſein ruhen¬ des Herz zum Pochen an und er ſagte mit einem ungewoͤhnlichen Schmerz: »wenn ich nur ſehen koͤnn¬ »te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!» Die uͤberſtaͤubten Erinnerungen an ſeine Kindheit wurden aufgeſchuͤttelt; und aus dieſer in Wolken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/208
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/208>, abgerufen am 24.11.2024.