wurfshügel eingelaufen" aber er setzte hinzu: "heu¬ "te frag' ich nach nichts."
Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thränen. Dieser sagte ihm, daß sich das erste Glied der ge¬ strigen Blumenkette, nämlich der Britte mit seinen Leuten, schon in der Nacht abgelöset habe. Aber je länger er Emanuel ansah und an morgen dachte -- denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬ thüre dieses Paradieses leise hinter sich zu, heute Nachmittags nimmt er von der Aebtissin und Abends von der Geliebten Abschied, um diese nicht im Ab¬ lesen der bekannten Engels-Epistel zu hemmen -- desto drückender waren seine Augen gespannt und er ging lieber mit einem sich selber vollblutenden Her¬ zen hinaus ins Freie und führte den Blinden mit, der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man ohnehin wie vor einem Kinde gern sein Innerstes entkleidete.
Aber diesesmal war Julius in derselben Erwei¬ chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in seiner dämmernden Seele spielen und fliegen sehen. Die Sehnsucht nach dem Engel brütete sein ruhen¬ des Herz zum Pochen an und er sagte mit einem ungewöhnlichen Schmerz: "wenn ich nur sehen könn¬ "te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!" Die überstäubten Erinnerungen an seine Kindheit wurden aufgeschüttelt; und aus dieser in Wolken
wurfshuͤgel eingelaufen» aber er ſetzte hinzu: »heu¬ »te frag' ich nach nichts.»
Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thraͤnen. Dieſer ſagte ihm, daß ſich das erſte Glied der ge¬ ſtrigen Blumenkette, naͤmlich der Britte mit ſeinen Leuten, ſchon in der Nacht abgeloͤſet habe. Aber je laͤnger er Emanuel anſah und an morgen dachte — denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬ thuͤre dieſes Paradieſes leiſe hinter ſich zu, heute Nachmittags nimmt er von der Aebtiſſin und Abends von der Geliebten Abſchied, um dieſe nicht im Ab¬ leſen der bekannten Engels-Epiſtel zu hemmen — deſto druͤckender waren ſeine Augen geſpannt und er ging lieber mit einem ſich ſelber vollblutenden Her¬ zen hinaus ins Freie und fuͤhrte den Blinden mit, der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man ohnehin wie vor einem Kinde gern ſein Innerſtes entkleidete.
Aber dieſesmal war Julius in derſelben Erwei¬ chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in ſeiner daͤmmernden Seele ſpielen und fliegen ſehen. Die Sehnſucht nach dem Engel bruͤtete ſein ruhen¬ des Herz zum Pochen an und er ſagte mit einem ungewoͤhnlichen Schmerz: »wenn ich nur ſehen koͤnn¬ »te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!» Die uͤberſtaͤubten Erinnerungen an ſeine Kindheit wurden aufgeſchuͤttelt; und aus dieſer in Wolken
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0208"n="198"/>
wurfshuͤgel eingelaufen» aber er ſetzte hinzu: »heu¬<lb/>
»te frag' ich nach nichts.»</p><lb/><p>Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thraͤnen.<lb/>
Dieſer ſagte ihm, daß ſich das erſte Glied der ge¬<lb/>ſtrigen Blumenkette, naͤmlich der Britte mit ſeinen<lb/>
Leuten, ſchon in der Nacht abgeloͤſet habe. Aber je<lb/>
laͤnger er Emanuel anſah und an morgen dachte —<lb/>
denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬<lb/>
thuͤre dieſes Paradieſes leiſe hinter ſich zu, heute<lb/>
Nachmittags nimmt er von der Aebtiſſin und Abends<lb/>
von der Geliebten Abſchied, um dieſe nicht im Ab¬<lb/>
leſen der bekannten Engels-Epiſtel zu hemmen —<lb/>
deſto druͤckender waren ſeine Augen geſpannt und er<lb/>
ging lieber mit einem ſich ſelber vollblutenden Her¬<lb/>
zen hinaus ins Freie und fuͤhrte den Blinden mit,<lb/>
der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man<lb/>
ohnehin wie vor einem Kinde gern ſein Innerſtes<lb/>
entkleidete.</p><lb/><p>Aber dieſesmal war Julius in derſelben Erwei¬<lb/>
chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in<lb/>ſeiner daͤmmernden Seele ſpielen und fliegen ſehen.<lb/>
Die Sehnſucht nach dem Engel bruͤtete ſein ruhen¬<lb/>
des Herz zum Pochen an und er ſagte mit einem<lb/>
ungewoͤhnlichen Schmerz: »wenn ich nur ſehen koͤnn¬<lb/>
»te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!»<lb/>
Die uͤberſtaͤubten Erinnerungen an ſeine Kindheit<lb/>
wurden aufgeſchuͤttelt; und aus dieſer in Wolken<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0208]
wurfshuͤgel eingelaufen» aber er ſetzte hinzu: »heu¬
»te frag' ich nach nichts.»
Er kam zu Emanuel mit Augen voll Thraͤnen.
Dieſer ſagte ihm, daß ſich das erſte Glied der ge¬
ſtrigen Blumenkette, naͤmlich der Britte mit ſeinen
Leuten, ſchon in der Nacht abgeloͤſet habe. Aber je
laͤnger er Emanuel anſah und an morgen dachte —
denn morgen lehnt auch er vor Tag's die Garten¬
thuͤre dieſes Paradieſes leiſe hinter ſich zu, heute
Nachmittags nimmt er von der Aebtiſſin und Abends
von der Geliebten Abſchied, um dieſe nicht im Ab¬
leſen der bekannten Engels-Epiſtel zu hemmen —
deſto druͤckender waren ſeine Augen geſpannt und er
ging lieber mit einem ſich ſelber vollblutenden Her¬
zen hinaus ins Freie und fuͤhrte den Blinden mit,
der nichts errieth, nichts erblickte und vor dem man
ohnehin wie vor einem Kinde gern ſein Innerſtes
entkleidete.
Aber dieſesmal war Julius in derſelben Erwei¬
chung, weil er den ganzen Morgen den Engel in
ſeiner daͤmmernden Seele ſpielen und fliegen ſehen.
Die Sehnſucht nach dem Engel bruͤtete ſein ruhen¬
des Herz zum Pochen an und er ſagte mit einem
ungewoͤhnlichen Schmerz: »wenn ich nur ſehen koͤnn¬
»te, nur etwas, nur meinen Vater, oder dich!»
Die uͤberſtaͤubten Erinnerungen an ſeine Kindheit
wurden aufgeſchuͤttelt; und aus dieſer in Wolken
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/208>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.