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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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stehenden Zeit trat besonders Ein Tag heraus vor
ihn morgenhell, blau und voll Gesang, und trug
drei Gestalten auf seinem Nebelboden, Julius eigne
und die der zwei Kinder, von denen er sich vor ih¬
rer Einschiffung nach Deutschland geschieden hatte
-- es entfloßen ihm Tropfen, ohne daß er es merk¬
te, da er gerade diesem Viktor, der das Folgende
gethan hatte, das Küßen und Umhängen und Nach¬
rufen des einen Kindes malte, das ihn am meisten
liebte und immer trug. "und ich denke, fuhr er
"fort, jeder, den ich gern höre, habe das Gesicht
"dieses guten Kindes und auch du. Oft wenn ich
"einsam diese Gestalt in meinem Dunkeln anschaue
"und warme Tropfen auf den Lippen spüre und in
"eine schmachtende schlummernde Wonne falle: mein'
"ich, es quelle Blut aus meinen Lippen und mein
"Herz siedet -- aber mein Vater sagt, wenn dann
"meine Augen plötzlich aufgethan würden und ich
"sähe meinen Engel an oder das gute Kind oder
"einen schönen Menschen, dann würde ich sterben
"müssen vor Liebe." -- -- O Julius, Julius,
(rief sein Viktor) wie edel ist dein Herz! Das gute
Kind, das du so liebst, wird bald mein Vater an
dich legen, es wird dich so küssen, so lieben, so
drücken wie ich jetzt. --

Er führte ihn zum Essen zurück; er selber aber
blieb bis Nachmittags unter dem Himmel und sein

ſtehenden Zeit trat beſonders Ein Tag heraus vor
ihn morgenhell, blau und voll Geſang, und trug
drei Geſtalten auf ſeinem Nebelboden, Julius eigne
und die der zwei Kinder, von denen er ſich vor ih¬
rer Einſchiffung nach Deutſchland geſchieden hatte
— es entfloßen ihm Tropfen, ohne daß er es merk¬
te, da er gerade dieſem Viktor, der das Folgende
gethan hatte, das Kuͤßen und Umhaͤngen und Nach¬
rufen des einen Kindes malte, das ihn am meiſten
liebte und immer trug. »und ich denke, fuhr er
»fort, jeder, den ich gern hoͤre, habe das Geſicht
»dieſes guten Kindes und auch du. Oft wenn ich
»einſam dieſe Geſtalt in meinem Dunkeln anſchaue
»und warme Tropfen auf den Lippen ſpuͤre und in
»eine ſchmachtende ſchlummernde Wonne falle: mein'
»ich, es quelle Blut aus meinen Lippen und mein
»Herz ſiedet — aber mein Vater ſagt, wenn dann
»meine Augen ploͤtzlich aufgethan wuͤrden und ich
»ſaͤhe meinen Engel an oder das gute Kind oder
»einen ſchoͤnen Menſchen, dann wuͤrde ich ſterben
»muͤſſen vor Liebe.» — — O Julius, Julius,
(rief ſein Viktor) wie edel iſt dein Herz! Das gute
Kind, das du ſo liebſt, wird bald mein Vater an
dich legen, es wird dich ſo kuͤſſen, ſo lieben, ſo
druͤcken wie ich jetzt. —

Er fuͤhrte ihn zum Eſſen zuruͤck; er ſelber aber
blieb bis Nachmittags unter dem Himmel und ſein

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[199/0209] ſtehenden Zeit trat beſonders Ein Tag heraus vor ihn morgenhell, blau und voll Geſang, und trug drei Geſtalten auf ſeinem Nebelboden, Julius eigne und die der zwei Kinder, von denen er ſich vor ih¬ rer Einſchiffung nach Deutſchland geſchieden hatte — es entfloßen ihm Tropfen, ohne daß er es merk¬ te, da er gerade dieſem Viktor, der das Folgende gethan hatte, das Kuͤßen und Umhaͤngen und Nach¬ rufen des einen Kindes malte, das ihn am meiſten liebte und immer trug. »und ich denke, fuhr er »fort, jeder, den ich gern hoͤre, habe das Geſicht »dieſes guten Kindes und auch du. Oft wenn ich »einſam dieſe Geſtalt in meinem Dunkeln anſchaue »und warme Tropfen auf den Lippen ſpuͤre und in »eine ſchmachtende ſchlummernde Wonne falle: mein' »ich, es quelle Blut aus meinen Lippen und mein »Herz ſiedet — aber mein Vater ſagt, wenn dann »meine Augen ploͤtzlich aufgethan wuͤrden und ich »ſaͤhe meinen Engel an oder das gute Kind oder »einen ſchoͤnen Menſchen, dann wuͤrde ich ſterben »muͤſſen vor Liebe.» — — O Julius, Julius, (rief ſein Viktor) wie edel iſt dein Herz! Das gute Kind, das du ſo liebſt, wird bald mein Vater an dich legen, es wird dich ſo kuͤſſen, ſo lieben, ſo druͤcken wie ich jetzt. — Er fuͤhrte ihn zum Eſſen zuruͤck; er ſelber aber blieb bis Nachmittags unter dem Himmel und ſein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/209>, abgerufen am 03.05.2024.