den Garten stand und als er auf die kahlen ausge¬ mähten eingetretenen Tanztenne und auf die ver¬ stummte Nachtigallenstaude blickte und auf die Ber¬ ge, woran die Kinder schmutzig weideten vom gestri¬ gen Schmucke entkleidet! Da erschien der vergessene Traum wieder und sagte: weine noch einmal, denn das Rosenfest deines Lebens beschließet sich heute und der letzte von den vier Flüßen des Paradieses trock¬ net in wenig Stunden gänzlich aus! -- O ihr schö¬ nen Tage, sagt' Viktor, ihr verdient es, daß ich euch verlasse mit einer Erweichung ohne Maaß und mit Thränen ohne Zahl! -- Er floh aus dem zu hartem Tageslicht in die Zelle aus Flor, damit sie den hellen Vorgrund des Tages zu einem dämmernden Hintergrund ummalte mit dem gestrigen Mondschein überdeckt; und unter diesem Leichenschleier der erbli¬ chenen Nacht setzte er sich vor, dem verarmenden Herzen heute seine letzten Freuden ganz im Ueber¬ maaß zu gönnen, nämlich seine Thränen. Er trat aus dem Flor, aber der nächtliche Mondschein wich nicht von der Flur; er schaute auf in den blauen Himmel, der uns mit Einer langen Flamme beta¬ stet, aber die zugehüllten Sterne der Winternacht schickten herausquellende kleine Stralen an die ver¬ dunkelte Seele; er sagte sich zwar: "der Eißberg, auf dem bisher meine Vernunft halbe Bergpredigten abgelegt, ist unter der Freudenglut zu einem Maul¬
den Garten ſtand und als er auf die kahlen ausge¬ maͤhten eingetretenen Tanztenne und auf die ver¬ ſtummte Nachtigallenſtaude blickte und auf die Ber¬ ge, woran die Kinder ſchmutzig weideten vom geſtri¬ gen Schmucke entkleidet! Da erſchien der vergeſſene Traum wieder und ſagte: weine noch einmal, denn das Roſenfeſt deines Lebens beſchließet ſich heute und der letzte von den vier Fluͤßen des Paradieſes trock¬ net in wenig Stunden gaͤnzlich aus! — O ihr ſchoͤ¬ nen Tage, ſagt' Viktor, ihr verdient es, daß ich euch verlaſſe mit einer Erweichung ohne Maaß und mit Thraͤnen ohne Zahl! — Er floh aus dem zu hartem Tageslicht in die Zelle aus Flor, damit ſie den hellen Vorgrund des Tages zu einem daͤmmernden Hintergrund ummalte mit dem geſtrigen Mondſchein uͤberdeckt; und unter dieſem Leichenſchleier der erbli¬ chenen Nacht ſetzte er ſich vor, dem verarmenden Herzen heute ſeine letzten Freuden ganz im Ueber¬ maaß zu goͤnnen, naͤmlich ſeine Thraͤnen. Er trat aus dem Flor, aber der naͤchtliche Mondſchein wich nicht von der Flur; er ſchaute auf in den blauen Himmel, der uns mit Einer langen Flamme beta¬ ſtet, aber die zugehuͤllten Sterne der Winternacht ſchickten herausquellende kleine Stralen an die ver¬ dunkelte Seele; er ſagte ſich zwar: »der Eißberg, auf dem bisher meine Vernunft halbe Bergpredigten abgelegt, iſt unter der Freudenglut zu einem Maul¬
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den Garten ſtand und als er auf die kahlen ausge¬
maͤhten eingetretenen Tanztenne und auf die ver¬
ſtummte Nachtigallenſtaude blickte und auf die Ber¬
ge, woran die Kinder ſchmutzig weideten vom geſtri¬
gen Schmucke entkleidet! Da erſchien der vergeſſene
Traum wieder und ſagte: weine noch einmal, denn
das Roſenfeſt deines Lebens beſchließet ſich heute und
der letzte von den vier Fluͤßen des Paradieſes trock¬
net in wenig Stunden gaͤnzlich aus! — O ihr ſchoͤ¬
nen Tage, ſagt' Viktor, ihr verdient es, daß ich
euch verlaſſe mit einer Erweichung ohne Maaß und
mit Thraͤnen ohne Zahl! — Er floh aus dem zu
hartem Tageslicht in die Zelle aus Flor, damit ſie
den hellen Vorgrund des Tages zu einem daͤmmernden
Hintergrund ummalte mit dem geſtrigen Mondſchein
uͤberdeckt; und unter dieſem Leichenſchleier der erbli¬
chenen Nacht ſetzte er ſich vor, dem verarmenden
Herzen heute ſeine letzten Freuden ganz im Ueber¬
maaß zu goͤnnen, naͤmlich ſeine Thraͤnen. Er trat
aus dem Flor, aber der naͤchtliche Mondſchein wich
nicht von der Flur; er ſchaute auf in den blauen
Himmel, der uns mit Einer langen Flamme beta¬
ſtet, aber die zugehuͤllten Sterne der Winternacht
ſchickten herausquellende kleine Stralen an die ver¬
dunkelte Seele; er ſagte ſich zwar: »der Eißberg,
auf dem bisher meine Vernunft halbe Bergpredigten
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/207>, abgerufen am 24.11.2024.
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