uns hat nicht in irgend einer zauberisch beleuchteten Stelle seiner Phantasie und seiner Hofnung ein eben so großes Nachtstück einer künftigen Frühlingsnacht aufgestellt, wo er wie in dieser mit allen Freun¬ den auf einmal (nicht immer allein) glücklich ist -- wo wie in dieser die Nacht nur als ein Schleier durchsichtig über den Tag geworfen ist, wo der ro¬ the Gürtel, den die Sonne beim Einsteigen in's Meer abgelegt, bis an den Morgen auf dem Rand der Erde schimmernd liegen bleibt -- wo die langen Seelentöne der Nachtigal laut durch das auseinan¬ der rinnende Adagio ziehen und sich aus dem Echo erheben -- wo wir lauter befreundeten Seelen be¬ gegnen und sie trunken anblicken und durch das Lä¬ cheln fragen: o du bist doch auch so glücklich wie ich? und wo das fremde Lächeln es bejahet -- eine Nacht, o Gott, wo du unser Herz voll und doch ruhig gemacht, wo wir weder zweifeln noch zür¬ nen noch fürchten, wo alle deine Kinder an dei¬ ner Brust in deinen Armen ruhen und die Hände ihrer Geschwister halten und nur mit halb geschlosse¬ nen Augen schlummern um sich anzulächeln? -- -- Ach da der Seufzer, womit ich dieses schreibe und ihr es leset, es uns daran erinnert, wie selten solche Frühlingsnächte auf unsere Erde fallen: so verübelt es mir nicht, daß ich das schwelgerische Gemälde die¬ ser Nacht nur langsam vollführe, damit ich einmal
uns hat nicht in irgend einer zauberiſch beleuchteten Stelle ſeiner Phantaſie und ſeiner Hofnung ein eben ſo großes Nachtſtuͤck einer kuͤnftigen Fruͤhlingsnacht aufgeſtellt, wo er wie in dieſer mit allen Freun¬ den auf einmal (nicht immer allein) gluͤcklich iſt — wo wie in dieſer die Nacht nur als ein Schleier durchſichtig uͤber den Tag geworfen iſt, wo der ro¬ the Guͤrtel, den die Sonne beim Einſteigen in's Meer abgelegt, bis an den Morgen auf dem Rand der Erde ſchimmernd liegen bleibt — wo die langen Seelentoͤne der Nachtigal laut durch das auseinan¬ der rinnende Adagio ziehen und ſich aus dem Echo erheben — wo wir lauter befreundeten Seelen be¬ gegnen und ſie trunken anblicken und durch das Laͤ¬ cheln fragen: o du biſt doch auch ſo gluͤcklich wie ich? und wo das fremde Laͤcheln es bejahet — eine Nacht, o Gott, wo du unſer Herz voll und doch ruhig gemacht, wo wir weder zweifeln noch zuͤr¬ nen noch fuͤrchten, wo alle deine Kinder an dei¬ ner Bruſt in deinen Armen ruhen und die Haͤnde ihrer Geſchwiſter halten und nur mit halb geſchloſſe¬ nen Augen ſchlummern um ſich anzulaͤcheln? — — Ach da der Seufzer, womit ich dieſes ſchreibe und ihr es leſet, es uns daran erinnert, wie ſelten ſolche Fruͤhlingsnaͤchte auf unſere Erde fallen: ſo veruͤbelt es mir nicht, daß ich das ſchwelgeriſche Gemaͤlde die¬ ſer Nacht nur langſam vollfuͤhre, damit ich einmal
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0197"n="187"/>
uns hat nicht in irgend einer zauberiſch beleuchteten<lb/>
Stelle ſeiner Phantaſie und ſeiner Hofnung ein eben<lb/>ſo großes Nachtſtuͤck einer kuͤnftigen Fruͤhlingsnacht<lb/>
aufgeſtellt, wo er wie in dieſer <hirendition="#g">mit allen Freun¬<lb/>
den</hi> auf einmal (nicht immer allein) gluͤcklich iſt —<lb/>
wo wie in dieſer die Nacht nur als ein Schleier<lb/>
durchſichtig uͤber den Tag geworfen iſt, wo der ro¬<lb/>
the Guͤrtel, den die Sonne beim Einſteigen in's<lb/>
Meer abgelegt, bis an den Morgen auf dem Rand<lb/>
der Erde ſchimmernd liegen bleibt — wo die langen<lb/>
Seelentoͤne der Nachtigal laut durch das auseinan¬<lb/>
der rinnende Adagio ziehen und ſich aus dem Echo<lb/>
erheben — wo wir lauter befreundeten Seelen be¬<lb/>
gegnen und ſie trunken anblicken und durch das Laͤ¬<lb/>
cheln fragen: o du biſt doch auch ſo gluͤcklich wie<lb/>
ich? und wo das fremde Laͤcheln es bejahet — eine<lb/>
Nacht, o Gott, wo du unſer Herz voll und doch<lb/>
ruhig gemacht, wo wir weder <hirendition="#g">zweifeln</hi> noch <hirendition="#g">zuͤr¬<lb/>
nen</hi> noch <hirendition="#g">fuͤrchten</hi>, wo alle deine Kinder an dei¬<lb/>
ner Bruſt in deinen Armen ruhen und die Haͤnde<lb/>
ihrer Geſchwiſter halten und nur mit halb geſchloſſe¬<lb/>
nen Augen ſchlummern um ſich anzulaͤcheln? ——<lb/>
Ach da der Seufzer, womit ich dieſes ſchreibe und ihr<lb/>
es leſet, es uns daran erinnert, wie ſelten ſolche<lb/>
Fruͤhlingsnaͤchte auf unſere Erde fallen: ſo veruͤbelt<lb/>
es mir nicht, daß ich das ſchwelgeriſche Gemaͤlde <hirendition="#g">die¬<lb/>ſer</hi> Nacht nur langſam vollfuͤhre, damit ich einmal<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[187/0197]
uns hat nicht in irgend einer zauberiſch beleuchteten
Stelle ſeiner Phantaſie und ſeiner Hofnung ein eben
ſo großes Nachtſtuͤck einer kuͤnftigen Fruͤhlingsnacht
aufgeſtellt, wo er wie in dieſer mit allen Freun¬
den auf einmal (nicht immer allein) gluͤcklich iſt —
wo wie in dieſer die Nacht nur als ein Schleier
durchſichtig uͤber den Tag geworfen iſt, wo der ro¬
the Guͤrtel, den die Sonne beim Einſteigen in's
Meer abgelegt, bis an den Morgen auf dem Rand
der Erde ſchimmernd liegen bleibt — wo die langen
Seelentoͤne der Nachtigal laut durch das auseinan¬
der rinnende Adagio ziehen und ſich aus dem Echo
erheben — wo wir lauter befreundeten Seelen be¬
gegnen und ſie trunken anblicken und durch das Laͤ¬
cheln fragen: o du biſt doch auch ſo gluͤcklich wie
ich? und wo das fremde Laͤcheln es bejahet — eine
Nacht, o Gott, wo du unſer Herz voll und doch
ruhig gemacht, wo wir weder zweifeln noch zuͤr¬
nen noch fuͤrchten, wo alle deine Kinder an dei¬
ner Bruſt in deinen Armen ruhen und die Haͤnde
ihrer Geſchwiſter halten und nur mit halb geſchloſſe¬
nen Augen ſchlummern um ſich anzulaͤcheln? — —
Ach da der Seufzer, womit ich dieſes ſchreibe und ihr
es leſet, es uns daran erinnert, wie ſelten ſolche
Fruͤhlingsnaͤchte auf unſere Erde fallen: ſo veruͤbelt
es mir nicht, daß ich das ſchwelgeriſche Gemaͤlde die¬
ſer Nacht nur langſam vollfuͤhre, damit ich einmal
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/197>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.