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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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ten der Begeisterung sollte in dem Thale nur das
Blumenbeet in einer Wiese seyn und nicht durch
grelle Schranken an der Natur zurückprallen, son¬
dern sanft wie ein Traum in's Wachen durch blü¬
hende, belaubte Gränzen in sie überhängen und über¬
fließen durch Hopfengärten, durch grüne dicht zusam¬
mengerückte Zäune um Fruchtfelder und durch ver¬
säete Kindergärtgen. Eine weite Kastanien-Kolonna¬
de, von zwei Bächen in Silber gefasset, schloß sich
frei und weit gegen die fünf von Blüten durchbroch
nen Teiche auf. Der nördliche Berg richtete sich
dem Parke gegenüber wie eine Terasse empor und
führte das Eden scheinbar über ungesehene Thäler
fort.

Viktor wich jedem aufgehenden Fenster des Klo¬
sters durch die Kastanien aus, unter die er seinen
Blinden führte und hinter denen er näher und doch
unbeobachtet beobachten konnte. Auf dem aus grü¬
nenden Dachlatten verwachsenen Wetterdach der Allee
lag der Abend wie ein Herbst, mit rothem durchfal¬
lenden Schimmer. Er ging trotz der Gefahr der Er¬
tappung bis in die Mitte, wo die Allee in zwei
Arme zerspringt; aber hier nahm er den rechten
Arm der belaubten Halle, der sich mit ihm vom
Kloster wegbog so wie von einer Nachtigal, die mit¬
ten im Garten aus einer geheiligten Dornhecke ihre
Jungen und ihre Töne aussandte. Die Allee that

ten der Begeiſterung ſollte in dem Thale nur das
Blumenbeet in einer Wieſe ſeyn und nicht durch
grelle Schranken an der Natur zuruͤckprallen, ſon¬
dern ſanft wie ein Traum in's Wachen durch bluͤ¬
hende, belaubte Graͤnzen in ſie uͤberhaͤngen und uͤber¬
fließen durch Hopfengaͤrten, durch gruͤne dicht zuſam¬
mengeruͤckte Zaͤune um Fruchtfelder und durch ver¬
ſaͤete Kindergaͤrtgen. Eine weite Kaſtanien-Kolonna¬
de, von zwei Baͤchen in Silber gefaſſet, ſchloß ſich
frei und weit gegen die fuͤnf von Bluͤten durchbroch
nen Teiche auf. Der noͤrdliche Berg richtete ſich
dem Parke gegenuͤber wie eine Teraſſe empor und
fuͤhrte das Eden ſcheinbar uͤber ungeſehene Thaͤler
fort.

Viktor wich jedem aufgehenden Fenſter des Klo¬
ſters durch die Kaſtanien aus, unter die er ſeinen
Blinden fuͤhrte und hinter denen er naͤher und doch
unbeobachtet beobachten konnte. Auf dem aus gruͤ¬
nenden Dachlatten verwachſenen Wetterdach der Allee
lag der Abend wie ein Herbſt, mit rothem durchfal¬
lenden Schimmer. Er ging trotz der Gefahr der Er¬
tappung bis in die Mitte, wo die Allee in zwei
Arme zerſpringt; aber hier nahm er den rechten
Arm der belaubten Halle, der ſich mit ihm vom
Kloſter wegbog ſo wie von einer Nachtigal, die mit¬
ten im Garten aus einer geheiligten Dornhecke ihre
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[137/0147] ten der Begeiſterung ſollte in dem Thale nur das Blumenbeet in einer Wieſe ſeyn und nicht durch grelle Schranken an der Natur zuruͤckprallen, ſon¬ dern ſanft wie ein Traum in's Wachen durch bluͤ¬ hende, belaubte Graͤnzen in ſie uͤberhaͤngen und uͤber¬ fließen durch Hopfengaͤrten, durch gruͤne dicht zuſam¬ mengeruͤckte Zaͤune um Fruchtfelder und durch ver¬ ſaͤete Kindergaͤrtgen. Eine weite Kaſtanien-Kolonna¬ de, von zwei Baͤchen in Silber gefaſſet, ſchloß ſich frei und weit gegen die fuͤnf von Bluͤten durchbroch nen Teiche auf. Der noͤrdliche Berg richtete ſich dem Parke gegenuͤber wie eine Teraſſe empor und fuͤhrte das Eden ſcheinbar uͤber ungeſehene Thaͤler fort. Viktor wich jedem aufgehenden Fenſter des Klo¬ ſters durch die Kaſtanien aus, unter die er ſeinen Blinden fuͤhrte und hinter denen er naͤher und doch unbeobachtet beobachten konnte. Auf dem aus gruͤ¬ nenden Dachlatten verwachſenen Wetterdach der Allee lag der Abend wie ein Herbſt, mit rothem durchfal¬ lenden Schimmer. Er ging trotz der Gefahr der Er¬ tappung bis in die Mitte, wo die Allee in zwei Arme zerſpringt; aber hier nahm er den rechten Arm der belaubten Halle, der ſich mit ihm vom Kloſter wegbog ſo wie von einer Nachtigal, die mit¬ ten im Garten aus einer geheiligten Dornhecke ihre Jungen und ihre Toͤne ausſandte. Die Allee that

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/147>, abgerufen am 04.05.2024.