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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

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scheinung, wenn anders ihr ruhendes nur in fromme
Rührungen eingesenktes Auge, das nicht einmal auf
die nähern frommen Schönheiten zur Höhenmessung
der Taille fiel, sich bis zu ihm hätte versteigen kön¬
nen. Die Birke am ersten Fenster der Empor nahm
er als belaubten Fächer vor: -- dieser grüne an sei¬
nen Wangen spielende Schleier bedeckte seine Auf¬
merksamkeit und seine Freudenthränen vor der gan¬
zen Kirche. Der Ort wo er so glücklich war, schien,
nach einer Glas-Inskripzion zu urtheilen, sonst der
gewöhnliche Stand Klotildens gewesen zu seyn: denn
Giulia's ihrer war darneben, wie ich gewiß weiß,
weil auf dem Logenfenster ein von einem Kranz um¬
faßtes G und K eingeschnitten war mit den Worten
von Giuilia: "So vereinen uns die Blumen des
Lebens und der Zirkel der Ewigkeit". . . .

Viktor schlich ungesehen und früh und seelig sich
aus dieser Bilderblinde weggestellter Göttinnen fort
und trug das von der Liebe gefüllte Herz an die ofne
erhabne Brust der Freundschaft -- an Emanuel. Er
sah schon dessen Stiftshütte im Tempel der Natur
-- als seine Entzückung aufgeschoben wurde durch
eine frühere. Julius lag im blühenden Grase, von
dessen Wellen bespühlt, und hielt einen Kirschen¬
zweig voll ofner Honigkelche in der Hand, um die
Bienen an sich zu ziehen und sich an ihrem summen¬

ſcheinung, wenn anders ihr ruhendes nur in fromme
Ruͤhrungen eingeſenktes Auge, das nicht einmal auf
die naͤhern frommen Schoͤnheiten zur Hoͤhenmeſſung
der Taille fiel, ſich bis zu ihm haͤtte verſteigen koͤn¬
nen. Die Birke am erſten Fenſter der Empor nahm
er als belaubten Faͤcher vor: — dieſer gruͤne an ſei¬
nen Wangen ſpielende Schleier bedeckte ſeine Auf¬
merkſamkeit und ſeine Freudenthraͤnen vor der gan¬
zen Kirche. Der Ort wo er ſo gluͤcklich war, ſchien,
nach einer Glas–Inſkripzion zu urtheilen, ſonſt der
gewoͤhnliche Stand Klotildens geweſen zu ſeyn: denn
Giulia's ihrer war darneben, wie ich gewiß weiß,
weil auf dem Logenfenſter ein von einem Kranz um¬
faßtes G und K eingeſchnitten war mit den Worten
von Giuilia: »So vereinen uns die Blumen des
Lebens und der Zirkel der Ewigkeit». . . .

Viktor ſchlich ungeſehen und fruͤh und ſeelig ſich
aus dieſer Bilderblinde weggeſtellter Goͤttinnen fort
und trug das von der Liebe gefuͤllte Herz an die ofne
erhabne Bruſt der Freundſchaft — an Emanuel. Er
ſah ſchon deſſen Stiftshuͤtte im Tempel der Natur
— als ſeine Entzuͤckung aufgeſchoben wurde durch
eine fruͤhere. Julius lag im bluͤhenden Graſe, von
deſſen Wellen beſpuͤhlt, und hielt einen Kirſchen¬
zweig voll ofner Honigkelche in der Hand, um die
Bienen an ſich zu ziehen und ſich an ihrem ſummen¬

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[126/0136] ſcheinung, wenn anders ihr ruhendes nur in fromme Ruͤhrungen eingeſenktes Auge, das nicht einmal auf die naͤhern frommen Schoͤnheiten zur Hoͤhenmeſſung der Taille fiel, ſich bis zu ihm haͤtte verſteigen koͤn¬ nen. Die Birke am erſten Fenſter der Empor nahm er als belaubten Faͤcher vor: — dieſer gruͤne an ſei¬ nen Wangen ſpielende Schleier bedeckte ſeine Auf¬ merkſamkeit und ſeine Freudenthraͤnen vor der gan¬ zen Kirche. Der Ort wo er ſo gluͤcklich war, ſchien, nach einer Glas–Inſkripzion zu urtheilen, ſonſt der gewoͤhnliche Stand Klotildens geweſen zu ſeyn: denn Giulia's ihrer war darneben, wie ich gewiß weiß, weil auf dem Logenfenſter ein von einem Kranz um¬ faßtes G und K eingeſchnitten war mit den Worten von Giuilia: »So vereinen uns die Blumen des Lebens und der Zirkel der Ewigkeit». . . . Viktor ſchlich ungeſehen und fruͤh und ſeelig ſich aus dieſer Bilderblinde weggeſtellter Goͤttinnen fort und trug das von der Liebe gefuͤllte Herz an die ofne erhabne Bruſt der Freundſchaft — an Emanuel. Er ſah ſchon deſſen Stiftshuͤtte im Tempel der Natur — als ſeine Entzuͤckung aufgeſchoben wurde durch eine fruͤhere. Julius lag im bluͤhenden Graſe, von deſſen Wellen beſpuͤhlt, und hielt einen Kirſchen¬ zweig voll ofner Honigkelche in der Hand, um die Bienen an ſich zu ziehen und ſich an ihrem ſummen¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/136>, abgerufen am 04.05.2024.