Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

den Schweben über den Blüten zu belustigen. Vik¬
tor umschlang ihn und vergaß in der Entzückung
seinen Namen zu nennen -- "bist du mein Engel?"
sagte er -- "Ich bin nur dein Viktor!" -- O komm,
o komm!" sagte der entzückte Blinde wie ein Wohl¬
laut bebend und zog den Freund zu Emanuels Haus;
aber er führte ihn, hinter der Wolke seiner Augen,
den längern Weg und drehte sich noch dazu bei je¬
dem vierten Schritte um, zu einer erneuerten Um¬
schlingung.

Als sie an's Wasserrad kamen, das seine Gie߬
kannen laut auf die Blumensaaten ausschüttete und
dessen zersplitterte Blitze an den Fenstern und an der
Stubendecke Emanuels flatterten: so sagte der Blin¬
de: umfasse mich noch einmal recht sehr." -- Aber
unter dem Getöse der Regengüße und unter der Be¬
täubung der Liebe wurden sie von andern Armen als
den ihrigen zusammengedrückt und die zwei jungen
stummen Herzen wurden an ein großes Drittes an¬
gereiht und der erhabne Indier schauete wie ein
Gott der Liebe zwischen sie und sagte: "o ihr gu¬
"ten Jünglinge, bleibet immer so und weinet fort
"in euerer seeligen Liebe! -- Sei gesegnet, mein
"Horion, sey willkommen im großen Frühling um
"uns her!" -- und als Emanuel und Vikto an

den Schweben uͤber den Bluͤten zu beluſtigen. Vik¬
tor umſchlang ihn und vergaß in der Entzuͤckung
ſeinen Namen zu nennen — »biſt du mein Engel?»
ſagte er — »Ich bin nur dein Viktor!» — O komm,
o komm!» ſagte der entzuͤckte Blinde wie ein Wohl¬
laut bebend und zog den Freund zu Emanuels Haus;
aber er fuͤhrte ihn, hinter der Wolke ſeiner Augen,
den laͤngern Weg und drehte ſich noch dazu bei je¬
dem vierten Schritte um, zu einer erneuerten Um¬
ſchlingung.

Als ſie an's Waſſerrad kamen, das ſeine Gie߬
kannen laut auf die Blumenſaaten ausſchuͤttete und
deſſen zerſplitterte Blitze an den Fenſtern und an der
Stubendecke Emanuels flatterten: ſo ſagte der Blin¬
de: umfaſſe mich noch einmal recht ſehr.» — Aber
unter dem Getoͤſe der Regenguͤße und unter der Be¬
taͤubung der Liebe wurden ſie von andern Armen als
den ihrigen zuſammengedruͤckt und die zwei jungen
ſtummen Herzen wurden an ein großes Drittes an¬
gereiht und der erhabne Indier ſchauete wie ein
Gott der Liebe zwiſchen ſie und ſagte: »o ihr gu¬
»ten Juͤnglinge, bleibet immer ſo und weinet fort
»in euerer ſeeligen Liebe! — Sei geſegnet, mein
»Horion, ſey willkommen im großen Fruͤhling um
»uns her!» — und als Emanuel und Vikto an

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0137" n="127"/>
den Schweben u&#x0364;ber den Blu&#x0364;ten zu belu&#x017F;tigen. Vik¬<lb/>
tor um&#x017F;chlang ihn und vergaß in der Entzu&#x0364;ckung<lb/>
&#x017F;einen Namen zu nennen &#x2014; »bi&#x017F;t du mein Engel?»<lb/>
&#x017F;agte er &#x2014; »Ich bin nur dein Viktor!» &#x2014; O komm,<lb/>
o komm!» &#x017F;agte der entzu&#x0364;ckte Blinde wie ein Wohl¬<lb/>
laut bebend und zog den Freund zu Emanuels Haus;<lb/>
aber er fu&#x0364;hrte ihn, hinter der Wolke &#x017F;einer Augen,<lb/>
den la&#x0364;ngern Weg und drehte &#x017F;ich noch dazu bei je¬<lb/>
dem vierten Schritte um, zu einer erneuerten Um¬<lb/>
&#x017F;chlingung.</p><lb/>
          <p>Als &#x017F;ie an's Wa&#x017F;&#x017F;errad kamen, das &#x017F;eine Gie߬<lb/>
kannen laut auf die Blumen&#x017F;aaten aus&#x017F;chu&#x0364;ttete und<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en zer&#x017F;plitterte Blitze an den Fen&#x017F;tern und an der<lb/>
Stubendecke Emanuels flatterten: &#x017F;o &#x017F;agte der Blin¬<lb/>
de: umfa&#x017F;&#x017F;e mich noch einmal recht &#x017F;ehr.» &#x2014; Aber<lb/>
unter dem Geto&#x0364;&#x017F;e der Regengu&#x0364;ße und unter der Be¬<lb/>
ta&#x0364;ubung der Liebe wurden &#x017F;ie von andern Armen als<lb/>
den ihrigen zu&#x017F;ammengedru&#x0364;ckt und die zwei jungen<lb/>
&#x017F;tummen Herzen wurden an ein großes Drittes an¬<lb/>
gereiht und der erhabne Indier &#x017F;chauete wie ein<lb/>
Gott der Liebe zwi&#x017F;chen &#x017F;ie und &#x017F;agte: »o ihr gu¬<lb/>
»ten Ju&#x0364;nglinge, bleibet immer &#x017F;o und weinet fort<lb/>
»in euerer &#x017F;eeligen Liebe! &#x2014; Sei ge&#x017F;egnet, mein<lb/>
»Horion, &#x017F;ey willkommen im großen Fru&#x0364;hling um<lb/>
»uns her!» &#x2014; und als Emanuel und Vikto an<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] den Schweben uͤber den Bluͤten zu beluſtigen. Vik¬ tor umſchlang ihn und vergaß in der Entzuͤckung ſeinen Namen zu nennen — »biſt du mein Engel?» ſagte er — »Ich bin nur dein Viktor!» — O komm, o komm!» ſagte der entzuͤckte Blinde wie ein Wohl¬ laut bebend und zog den Freund zu Emanuels Haus; aber er fuͤhrte ihn, hinter der Wolke ſeiner Augen, den laͤngern Weg und drehte ſich noch dazu bei je¬ dem vierten Schritte um, zu einer erneuerten Um¬ ſchlingung. Als ſie an's Waſſerrad kamen, das ſeine Gie߬ kannen laut auf die Blumenſaaten ausſchuͤttete und deſſen zerſplitterte Blitze an den Fenſtern und an der Stubendecke Emanuels flatterten: ſo ſagte der Blin¬ de: umfaſſe mich noch einmal recht ſehr.» — Aber unter dem Getoͤſe der Regenguͤße und unter der Be¬ taͤubung der Liebe wurden ſie von andern Armen als den ihrigen zuſammengedruͤckt und die zwei jungen ſtummen Herzen wurden an ein großes Drittes an¬ gereiht und der erhabne Indier ſchauete wie ein Gott der Liebe zwiſchen ſie und ſagte: »o ihr gu¬ »ten Juͤnglinge, bleibet immer ſo und weinet fort »in euerer ſeeligen Liebe! — Sei geſegnet, mein »Horion, ſey willkommen im großen Fruͤhling um »uns her!» — und als Emanuel und Vikto an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/137
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Drittes Heftlein. Berlin, 1795, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus03_1795/137>, abgerufen am 03.05.2024.