still -- der Schlaf spielte mit dem Tod -- jedes Herz ruhte in seiner eignen Nacht. --
Und hier bei diesem Eintritt gleichsam aus dem Getümmel der Erde in die stille überdämmerte Un¬ terwelt floßen kalte Schauer und nach ihnen glühen¬ de Schauer über Viktors Nerven. -- Dies geschieht wenn die Seele des Menschen zu voll ist und zu sehr erschüttert wird und alle Fäden ihres zitternden Körpergewebes schwanken dann mit ihr. -- Sein Schlitten wurde jetzt eine fliegende Gondel. -- Die entgegenschlagende Nachtluft wehte alle seine Flam¬ men an. -- O! der Strom voll Eisspitzen, wenn er über ihn gezogen, die kühle Decke von Schnee wenn sie auf ihm gelegen wäre! -- Immerfort rief es in ihm: "du fährst die Stille, die Geduldige mit ihrem "schwarzen Schleier dem Tode zu -- es ist ihr Lei¬ "chenwagen -- die edle Perlenfischerin hat dem Him¬ "mel ihr Zeichen gegeben, daß sie hier unten "Schmerzen und Tugenden genug gesammelt habe, "damit er sie wieder hinaufziehe zu sich." -- -- Die vorüberrückenden Berge, die vorbeistürzenden Bäume, die wegrinnenden Felder, diese Flucht der Natur schien in einen großen Wasserfall zusammen¬ zufließen, der alles mittrieb und den Menschen zu¬ erst und nichts stehen ließ als die Zeit. -- Und als er in das Thal, wo die Stadt verschwindet wie vor
ſtill — der Schlaf ſpielte mit dem Tod — jedes Herz ruhte in ſeiner eignen Nacht. —
Und hier bei dieſem Eintritt gleichſam aus dem Getuͤmmel der Erde in die ſtille uͤberdaͤmmerte Un¬ terwelt floßen kalte Schauer und nach ihnen gluͤhen¬ de Schauer uͤber Viktors Nerven. — Dies geſchieht wenn die Seele des Menſchen zu voll iſt und zu ſehr erſchuͤttert wird und alle Faͤden ihres zitternden Koͤrpergewebes ſchwanken dann mit ihr. — Sein Schlitten wurde jetzt eine fliegende Gondel. — Die entgegenſchlagende Nachtluft wehte alle ſeine Flam¬ men an. — O! der Strom voll Eisſpitzen, wenn er uͤber ihn gezogen, die kuͤhle Decke von Schnee wenn ſie auf ihm gelegen waͤre! — Immerfort rief es in ihm: »du faͤhrſt die Stille, die Geduldige mit ihrem »ſchwarzen Schleier dem Tode zu — es iſt ihr Lei¬ »chenwagen — die edle Perlenfiſcherin hat dem Him¬ »mel ihr Zeichen gegeben, daß ſie hier unten »Schmerzen und Tugenden genug geſammelt habe, »damit er ſie wieder hinaufziehe zu ſich.» — — Die voruͤberruͤckenden Berge, die vorbeiſtuͤrzenden Baͤume, die wegrinnenden Felder, dieſe Flucht der Natur ſchien in einen großen Waſſerfall zuſammen¬ zufließen, der alles mittrieb und den Menſchen zu¬ erſt und nichts ſtehen ließ als die Zeit. — Und als er in das Thal, wo die Stadt verſchwindet wie vor
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ſtill — der Schlaf ſpielte mit dem Tod — jedes
Herz ruhte in ſeiner eignen Nacht. —
Und hier bei dieſem Eintritt gleichſam aus dem
Getuͤmmel der Erde in die ſtille uͤberdaͤmmerte Un¬
terwelt floßen kalte Schauer und nach ihnen gluͤhen¬
de Schauer uͤber Viktors Nerven. — Dies geſchieht
wenn die Seele des Menſchen zu voll iſt und zu
ſehr erſchuͤttert wird und alle Faͤden ihres zitternden
Koͤrpergewebes ſchwanken dann mit ihr. — Sein
Schlitten wurde jetzt eine fliegende Gondel. — Die
entgegenſchlagende Nachtluft wehte alle ſeine Flam¬
men an. — O! der Strom voll Eisſpitzen, wenn er
uͤber ihn gezogen, die kuͤhle Decke von Schnee wenn
ſie auf ihm gelegen waͤre! — Immerfort rief es in ihm:
»du faͤhrſt die Stille, die Geduldige mit ihrem
»ſchwarzen Schleier dem Tode zu — es iſt ihr Lei¬
»chenwagen — die edle Perlenfiſcherin hat dem Him¬
»mel ihr Zeichen gegeben, daß ſie hier unten
»Schmerzen und Tugenden genug geſammelt habe,
»damit er ſie wieder hinaufziehe zu ſich.» — —
Die voruͤberruͤckenden Berge, die vorbeiſtuͤrzenden
Baͤume, die wegrinnenden Felder, dieſe Flucht der
Natur ſchien in einen großen Waſſerfall zuſammen¬
zufließen, der alles mittrieb und den Menſchen zu¬
erſt und nichts ſtehen ließ als die Zeit. — Und als
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/391>, abgerufen am 27.05.2024.
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