"ganz in Wachs repetiren lassen, warum es der "Katholik mit einzelnen Gliedern thut, um sie an "eine Heilige zu hängen und dadurch um Genesung "zu danken oder zu bitten; oder wie die römischen "Kaiser, deren Wachsstatue die Aerzte nach dem "Tode des Originals besuchten."
Er war endlich allein; der Mond, der um 11 Uhr 57 Minuten aufgegangen war, warf sein noch vertieftes abnehmendes Licht erst an die Fenster von Klotildens Wohnzimmer; er löschte sein Nachtlicht aus und setzte sich, um mit seinem noch wogenden träumenden Herzen nicht in die Träume des Schla¬ fes zu treten, ans Fenster, beinahe am gewöhnlichen Standort seiner Wachskopie und in ähnlicher Stel¬ lung -- -- als das Schicksal es fügte, daß, da er heute die Wachsmumie für seine Person ausgegeben hatte; jetzt umgekehrt er für das Bild angesehen werden sollte -- -- -- von Klotilden! Sie stand in einiger Entfernung von ihrem Fenster, an das kein Licht als das vom Himmel fiel; Viktor war, da das letztere noch nicht zu ihm hineinkonnte, ganz im Schatten und ihr mit seines Profils zugekehrt. Kaum sah' er, daß sie einen unverwandten fassenden gleichsam einschla¬ fenden Blick auf ihn hefte: so errieth er, daß sie ihn mit dem wächsernen Menschen vermenge; auch bemerkte er aus dem Augenwinkel, daß etwas
»ganz in Wachs repetiren laſſen, warum es der »Katholik mit einzelnen Gliedern thut, um ſie an »eine Heilige zu haͤngen und dadurch um Geneſung »zu danken oder zu bitten; oder wie die roͤmiſchen »Kaiſer, deren Wachsſtatue die Aerzte nach dem »Tode des Originals beſuchten.»
Er war endlich allein; der Mond, der um 11 Uhr 57 Minuten aufgegangen war, warf ſein noch vertieftes abnehmendes Licht erſt an die Fenſter von Klotildens Wohnzimmer; er loͤſchte ſein Nachtlicht aus und ſetzte ſich, um mit ſeinem noch wogenden traͤumenden Herzen nicht in die Traͤume des Schla¬ fes zu treten, ans Fenſter, beinahe am gewoͤhnlichen Standort ſeiner Wachskopie und in aͤhnlicher Stel¬ lung — — als das Schickſal es fuͤgte, daß, da er heute die Wachsmumie fuͤr ſeine Perſon ausgegeben hatte; jetzt umgekehrt er fuͤr das Bild angeſehen werden ſollte — — — von Klotilden! Sie ſtand in einiger Entfernung von ihrem Fenſter, an das kein Licht als das vom Himmel fiel; Viktor war, da das letztere noch nicht zu ihm hineinkonnte, ganz im Schatten und ihr mit ſeines Profils zugekehrt. Kaum ſah' er, daß ſie einen unverwandten faſſenden gleichſam einſchla¬ fenden Blick auf ihn hefte: ſo errieth er, daß ſie ihn mit dem waͤchſernen Menſchen vermenge; auch bemerkte er aus dem Augenwinkel, daß etwas
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»Kaiſer, deren Wachsſtatue die Aerzte nach dem
»Tode des Originals beſuchten.»
Er war endlich allein; der Mond, der um 11
Uhr 57 Minuten aufgegangen war, warf ſein noch
vertieftes abnehmendes Licht erſt an die Fenſter von
Klotildens Wohnzimmer; er loͤſchte ſein Nachtlicht
aus und ſetzte ſich, um mit ſeinem noch wogenden
traͤumenden Herzen nicht in die Traͤume des Schla¬
fes zu treten, ans Fenſter, beinahe am gewoͤhnlichen
Standort ſeiner Wachskopie und in aͤhnlicher Stel¬
lung — — als das Schickſal es fuͤgte, daß, da er
heute die Wachsmumie fuͤr ſeine Perſon ausgegeben
hatte; jetzt umgekehrt er fuͤr das Bild angeſehen
werden ſollte — —
— von Klotilden! Sie ſtand in einiger Entfernung
von ihrem Fenſter, an das kein Licht als das vom
Himmel fiel; Viktor war, da das letztere noch nicht
zu ihm hineinkonnte, ganz im Schatten und ihr mit
[FORMEL] ſeines Profils zugekehrt. Kaum ſah' er, daß ſie
einen unverwandten faſſenden gleichſam einſchla¬
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ſie ihn mit dem waͤchſernen Menſchen vermenge;
auch bemerkte er aus dem Augenwinkel, daß etwas
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/367>, abgerufen am 24.11.2024.
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