Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Weisses um sie flattere, d. h. daß sie sich die Au¬
gen oft trockne Aber wie wär' es seinem feinen
Gefü[ - 1 Zeichen fehlt]le möglich gewesen, ihr durch die geringste Be¬
weg[ - 1 Zeichen fehlt]ng ihren Irthum zu nehmen und sie für ihr
unschuldiges Anblicken verlegen und roth zu machen?
-- Ein anderer z. B. der verkannte Maz hätte sich
in einem solchen Vorfalle gelassen in die Höhe ge¬
richtet und gleichgültig zum Fenster hinausgesehen;
aber er verknöcherte sich gleichsam in seiner Stellung
der Leblosigkeit. Allein nur die Nacht und Entfer¬
nung konnten ihr sein Zittern zudecken, da ihre für
seine Leiche fallenden Thränen wie ein heisser Strom
sein zerstörtes Herz ergriffen und das Wenige, was
der heutige Abend daran noch fest gelassen, erweichten
und auflösten in eine heisse Welle der Liebe. Den
Kindern fließen die Thränen stärker, wenn man ih¬
nen Mitleid bezeugt; und in dieser Stunde der Er¬
schöpfung wurde Viktor weicher, der sonst durch
fremdes Mitleid mit ihm härter wurde, und als Klo¬
tilds sich ans Fenster setzte, um das müde Haupt
aufzulehnen: so war's ihm als ermahnte ihn etwas,
das jetzt wahrzumachen was er heute zur Statue ge¬
sagt: kalte Gestalt, richte dich auf und zeige den
Menschen die Thränen, die aus einem weichen Her¬
zen etc.

Klotilde zog endlich die Gardinen zu und ver¬
schwand. Aber er setzte behutsam noch lange die

Weiſſes um ſie flattere, d. h. daß ſie ſich die Au¬
gen oft trockne Aber wie waͤr' es ſeinem feinen
Gefuͤ[ – 1 Zeichen fehlt]le moͤglich geweſen, ihr durch die geringſte Be¬
weg[ – 1 Zeichen fehlt]ng ihren Irthum zu nehmen und ſie fuͤr ihr
unſchuldiges Anblicken verlegen und roth zu machen?
— Ein anderer z. B. der verkannte Maz haͤtte ſich
in einem ſolchen Vorfalle gelaſſen in die Hoͤhe ge¬
richtet und gleichguͤltig zum Fenſter hinausgeſehen;
aber er verknoͤcherte ſich gleichſam in ſeiner Stellung
der Lebloſigkeit. Allein nur die Nacht und Entfer¬
nung konnten ihr ſein Zittern zudecken, da ihre fuͤr
ſeine Leiche fallenden Thraͤnen wie ein heiſſer Strom
ſein zerſtoͤrtes Herz ergriffen und das Wenige, was
der heutige Abend daran noch feſt gelaſſen, erweichten
und aufloͤſten in eine heiſſe Welle der Liebe. Den
Kindern fließen die Thraͤnen ſtaͤrker, wenn man ih¬
nen Mitleid bezeugt; und in dieſer Stunde der Er¬
ſchoͤpfung wurde Viktor weicher, der ſonſt durch
fremdes Mitleid mit ihm haͤrter wurde, und als Klo¬
tilds ſich ans Fenſter ſetzte, um das muͤde Haupt
aufzulehnen: ſo war's ihm als ermahnte ihn etwas,
das jetzt wahrzumachen was er heute zur Statue ge¬
ſagt: kalte Geſtalt, richte dich auf und zeige den
Menſchen die Thraͤnen, die aus einem weichen Her¬
zen ꝛc.

Klotilde zog endlich die Gardinen zu und ver¬
ſchwand. Aber er ſetzte behutſam noch lange die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0368" n="358"/>
Wei&#x017F;&#x017F;es um &#x017F;ie flattere, d. h. daß &#x017F;ie &#x017F;ich die Au¬<lb/>
gen oft trockne Aber wie wa&#x0364;r' es &#x017F;einem feinen<lb/>
Gefu&#x0364;<gap unit="chars" quantity="1"/>le mo&#x0364;glich gewe&#x017F;en, ihr durch die gering&#x017F;te Be¬<lb/>
weg<gap unit="chars" quantity="1"/>ng ihren Irthum zu nehmen und &#x017F;ie fu&#x0364;r ihr<lb/>
un&#x017F;chuldiges Anblicken verlegen und roth zu machen?<lb/>
&#x2014; Ein anderer z. B. der verkannte Maz ha&#x0364;tte &#x017F;ich<lb/>
in einem &#x017F;olchen Vorfalle gela&#x017F;&#x017F;en in die Ho&#x0364;he ge¬<lb/>
richtet und gleichgu&#x0364;ltig zum Fen&#x017F;ter hinausge&#x017F;ehen;<lb/>
aber er verkno&#x0364;cherte &#x017F;ich gleich&#x017F;am in &#x017F;einer Stellung<lb/>
der Leblo&#x017F;igkeit. Allein nur die Nacht und Entfer¬<lb/>
nung konnten ihr &#x017F;ein Zittern zudecken, da ihre fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine Leiche fallenden Thra&#x0364;nen wie ein hei&#x017F;&#x017F;er Strom<lb/>
&#x017F;ein zer&#x017F;to&#x0364;rtes Herz ergriffen und das Wenige, was<lb/>
der heutige Abend daran noch fe&#x017F;t gela&#x017F;&#x017F;en, erweichten<lb/>
und auflo&#x0364;&#x017F;ten in eine hei&#x017F;&#x017F;e Welle der Liebe. Den<lb/>
Kindern fließen die Thra&#x0364;nen &#x017F;ta&#x0364;rker, wenn man ih¬<lb/>
nen Mitleid bezeugt; und in die&#x017F;er Stunde der Er¬<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfung wurde Viktor weicher, der &#x017F;on&#x017F;t durch<lb/>
fremdes Mitleid mit ihm ha&#x0364;rter wurde, und als Klo¬<lb/>
tilds &#x017F;ich ans Fen&#x017F;ter &#x017F;etzte, um das mu&#x0364;de Haupt<lb/>
aufzulehnen: &#x017F;o war's ihm als ermahnte ihn etwas,<lb/>
das jetzt wahrzumachen was er heute zur Statue ge¬<lb/>
&#x017F;agt: kalte Ge&#x017F;talt, richte dich auf und zeige den<lb/>
Men&#x017F;chen die Thra&#x0364;nen, die aus einem weichen Her¬<lb/>
zen &#xA75B;c.</p><lb/>
            <p>Klotilde zog endlich die Gardinen zu und ver¬<lb/>
&#x017F;chwand. Aber er &#x017F;etzte behut&#x017F;am noch lange die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0368] Weiſſes um ſie flattere, d. h. daß ſie ſich die Au¬ gen oft trockne Aber wie waͤr' es ſeinem feinen Gefuͤ_le moͤglich geweſen, ihr durch die geringſte Be¬ weg_ng ihren Irthum zu nehmen und ſie fuͤr ihr unſchuldiges Anblicken verlegen und roth zu machen? — Ein anderer z. B. der verkannte Maz haͤtte ſich in einem ſolchen Vorfalle gelaſſen in die Hoͤhe ge¬ richtet und gleichguͤltig zum Fenſter hinausgeſehen; aber er verknoͤcherte ſich gleichſam in ſeiner Stellung der Lebloſigkeit. Allein nur die Nacht und Entfer¬ nung konnten ihr ſein Zittern zudecken, da ihre fuͤr ſeine Leiche fallenden Thraͤnen wie ein heiſſer Strom ſein zerſtoͤrtes Herz ergriffen und das Wenige, was der heutige Abend daran noch feſt gelaſſen, erweichten und aufloͤſten in eine heiſſe Welle der Liebe. Den Kindern fließen die Thraͤnen ſtaͤrker, wenn man ih¬ nen Mitleid bezeugt; und in dieſer Stunde der Er¬ ſchoͤpfung wurde Viktor weicher, der ſonſt durch fremdes Mitleid mit ihm haͤrter wurde, und als Klo¬ tilds ſich ans Fenſter ſetzte, um das muͤde Haupt aufzulehnen: ſo war's ihm als ermahnte ihn etwas, das jetzt wahrzumachen was er heute zur Statue ge¬ ſagt: kalte Geſtalt, richte dich auf und zeige den Menſchen die Thraͤnen, die aus einem weichen Her¬ zen ꝛc. Klotilde zog endlich die Gardinen zu und ver¬ ſchwand. Aber er ſetzte behutſam noch lange die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/368
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/368>, abgerufen am 27.05.2024.