Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

und um ein so heftiges ächt-brittisches Herz an ih¬
res zu drücken. Die Umarmung erwärmte alle seine
kalten Wunden sanft und er war geheilt, obwohl
erschöpft; das fremde Leben wuchs in seines hinein,
und die Liebe überwand den Tod. Die Engländer,
in deren Augen die Thränen einer doppelten
Trunkenheit waren, konnten sich kaum abreissen vom
humoristischen Liebling. --

Klotilde, die mit ihren Freundinnen dem Lei¬
chensermon im Nebenzimmer zuhörte, hielt jene bit¬
tend ab, dieses aufzumachen. Aber als Viktor
sagte: "kalte Gestalt, richte dich auf und zeige den
"Menschen die Thränen, die aus einem weichen
"Herzen fließen, das vor Liebe bricht" -- so nahm
sie eilend von ihnen gute Nacht, weil sie über eine
ihr ganzes Wesen hebende Rührung nicht Meister
werden konnte. Da man ihm die Zeit ihrer Ent¬
fernung berichtet hatte: so wurde er, der jetzt schon
so müde, weich und zärtlich war, es in einem un¬
aussprechlichen Grade -- alle durch die Anstrengung
erhöhten Lichter auf seinem Angesicht schienen in
Liebe wie Mondschimmer in Thautropfen zu zerflies¬
sen -- er wartete nicht, bis sein Zimmer leer wur¬
de, sondern zeigte das was Klotilde in dem ihrigen
verbergen wollte -- er konnte sogar die unverschleier¬
te Wachsstatue mit sanftem Geiste anschauen und
sagte lächelnd, "ich glaube, ich habe mich darum

und um ein ſo heftiges aͤcht-brittiſches Herz an ih¬
res zu druͤcken. Die Umarmung erwaͤrmte alle ſeine
kalten Wunden ſanft und er war geheilt, obwohl
erſchoͤpft; das fremde Leben wuchs in ſeines hinein,
und die Liebe uͤberwand den Tod. Die Englaͤnder,
in deren Augen die Thraͤnen einer doppelten
Trunkenheit waren, konnten ſich kaum abreiſſen vom
humoriſtiſchen Liebling. —

Klotilde, die mit ihren Freundinnen dem Lei¬
chenſermon im Nebenzimmer zuhoͤrte, hielt jene bit¬
tend ab, dieſes aufzumachen. Aber als Viktor
ſagte: »kalte Geſtalt, richte dich auf und zeige den
»Menſchen die Thraͤnen, die aus einem weichen
»Herzen fließen, das vor Liebe bricht» — ſo nahm
ſie eilend von ihnen gute Nacht, weil ſie uͤber eine
ihr ganzes Weſen hebende Ruͤhrung nicht Meiſter
werden konnte. Da man ihm die Zeit ihrer Ent¬
fernung berichtet hatte: ſo wurde er, der jetzt ſchon
ſo muͤde, weich und zaͤrtlich war, es in einem un¬
ausſprechlichen Grade — alle durch die Anſtrengung
erhoͤhten Lichter auf ſeinem Angeſicht ſchienen in
Liebe wie Mondſchimmer in Thautropfen zu zerflieſ¬
ſen — er wartete nicht, bis ſein Zimmer leer wur¬
de, ſondern zeigte das was Klotilde in dem ihrigen
verbergen wollte — er konnte ſogar die unverſchleier¬
te Wachsſtatue mit ſanftem Geiſte anſchauen und
ſagte laͤchelnd, »ich glaube, ich habe mich darum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0366" n="356"/>
und um ein &#x017F;o heftiges a&#x0364;cht-britti&#x017F;ches Herz an ih¬<lb/>
res zu dru&#x0364;cken. Die Umarmung erwa&#x0364;rmte alle &#x017F;eine<lb/>
kalten Wunden &#x017F;anft und er war geheilt, obwohl<lb/>
er&#x017F;cho&#x0364;pft; das fremde Leben wuchs in &#x017F;eines hinein,<lb/>
und die Liebe u&#x0364;berwand den Tod. Die Engla&#x0364;nder,<lb/>
in deren Augen die Thra&#x0364;nen einer <hi rendition="#g">doppelten</hi><lb/>
Trunkenheit waren, konnten &#x017F;ich kaum abrei&#x017F;&#x017F;en vom<lb/>
humori&#x017F;ti&#x017F;chen Liebling. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Klotilde, die mit ihren Freundinnen dem Lei¬<lb/>
chen&#x017F;ermon im Nebenzimmer zuho&#x0364;rte, hielt jene bit¬<lb/>
tend ab, die&#x017F;es aufzumachen. Aber als Viktor<lb/>
&#x017F;agte: »kalte Ge&#x017F;talt, richte dich auf und zeige den<lb/>
»Men&#x017F;chen die Thra&#x0364;nen, die aus einem weichen<lb/>
»Herzen fließen, das vor Liebe bricht» &#x2014; &#x017F;o nahm<lb/>
&#x017F;ie eilend von ihnen gute Nacht, weil &#x017F;ie u&#x0364;ber eine<lb/>
ihr ganzes We&#x017F;en hebende Ru&#x0364;hrung nicht Mei&#x017F;ter<lb/>
werden konnte. Da man ihm die <hi rendition="#g">Zeit</hi> ihrer Ent¬<lb/>
fernung berichtet hatte: &#x017F;o wurde er, der jetzt &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;o mu&#x0364;de, weich und za&#x0364;rtlich war, es in einem un¬<lb/>
aus&#x017F;prechlichen Grade &#x2014; alle durch die An&#x017F;trengung<lb/>
erho&#x0364;hten Lichter auf &#x017F;einem Ange&#x017F;icht &#x017F;chienen in<lb/>
Liebe wie Mond&#x017F;chimmer in Thautropfen zu zerflie&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en &#x2014; er wartete nicht, bis &#x017F;ein Zimmer leer wur¬<lb/>
de, &#x017F;ondern zeigte das was Klotilde in dem ihrigen<lb/>
verbergen wollte &#x2014; er konnte &#x017F;ogar die unver&#x017F;chleier¬<lb/>
te Wachs&#x017F;tatue mit &#x017F;anftem Gei&#x017F;te an&#x017F;chauen und<lb/>
&#x017F;agte la&#x0364;chelnd, »ich glaube, ich habe mich darum<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[356/0366] und um ein ſo heftiges aͤcht-brittiſches Herz an ih¬ res zu druͤcken. Die Umarmung erwaͤrmte alle ſeine kalten Wunden ſanft und er war geheilt, obwohl erſchoͤpft; das fremde Leben wuchs in ſeines hinein, und die Liebe uͤberwand den Tod. Die Englaͤnder, in deren Augen die Thraͤnen einer doppelten Trunkenheit waren, konnten ſich kaum abreiſſen vom humoriſtiſchen Liebling. — Klotilde, die mit ihren Freundinnen dem Lei¬ chenſermon im Nebenzimmer zuhoͤrte, hielt jene bit¬ tend ab, dieſes aufzumachen. Aber als Viktor ſagte: »kalte Geſtalt, richte dich auf und zeige den »Menſchen die Thraͤnen, die aus einem weichen »Herzen fließen, das vor Liebe bricht» — ſo nahm ſie eilend von ihnen gute Nacht, weil ſie uͤber eine ihr ganzes Weſen hebende Ruͤhrung nicht Meiſter werden konnte. Da man ihm die Zeit ihrer Ent¬ fernung berichtet hatte: ſo wurde er, der jetzt ſchon ſo muͤde, weich und zaͤrtlich war, es in einem un¬ ausſprechlichen Grade — alle durch die Anſtrengung erhoͤhten Lichter auf ſeinem Angeſicht ſchienen in Liebe wie Mondſchimmer in Thautropfen zu zerflieſ¬ ſen — er wartete nicht, bis ſein Zimmer leer wur¬ de, ſondern zeigte das was Klotilde in dem ihrigen verbergen wollte — er konnte ſogar die unverſchleier¬ te Wachsſtatue mit ſanftem Geiſte anſchauen und ſagte laͤchelnd, »ich glaube, ich habe mich darum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/366
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/366>, abgerufen am 28.11.2024.