"nicht ab von deinem Emanuel und von deinem Va¬ "ter! Schau' an die Leinwand über ihrem kranken "Auge als verhüllte es der Tod -- und sinke nicht!"
"Ich sinke nicht!" sagte sein ganzes Herz: er wand sich mit ehrerbietigem Schonen aus den pulsi¬ renden Armen und fiel, erstarrend vor der Möglich¬ lichkeit einer Nachahmung des elenden Matthieu, den er so verachtet hatte, außerhalb des Bettes an ihrer hinausgenommenen Hand mit vorströmenden Thränen nieder und sagte:
"Vergeben Sie dem Jüngling, -- seinem über¬ "wältigten Herzen, -- seinen geblendeten Augen -- "-- ich verdiene alle Strafen, jede ist mir eine Ver¬ "gebung -- aber ich habe niemand vergessen als "mich. -- -- "Mais c'est moi que j'oublie en Vous "pardonnant" *) sagte sie mit einem zweideutigen Auge -- er stand schweigend auf und wählte in ei¬ ner Antwort, in der man ihm die Wahl der gelin¬ desten oder der härtesten Auslegung anzubieten schien, gern die letztere und suchte sich selber willig mit die¬ ser Demüthigung heim. Er trat in die ehrerbietigste Entfernung zurück, und Agnola in die stolzeste. Durch einen geheimen Druck an die Wand, der glaub' ich eine eigene Klingel im Zimmer der Kammerfrau
*) Aber ich vergesse hingegen mich wenn ich verzeihe.
Hesperus. II. Th. X
»nicht ab von deinem Emanuel und von deinem Va¬ »ter! Schau' an die Leinwand uͤber ihrem kranken »Auge als verhuͤllte es der Tod — und ſinke nicht!«
»Ich ſinke nicht!« ſagte ſein ganzes Herz: er wand ſich mit ehrerbietigem Schonen aus den pulſi¬ renden Armen und fiel, erſtarrend vor der Moͤglich¬ lichkeit einer Nachahmung des elenden Matthieu, den er ſo verachtet hatte, außerhalb des Bettes an ihrer hinausgenommenen Hand mit vorſtroͤmenden Thraͤnen nieder und ſagte:
»Vergeben Sie dem Juͤngling, — ſeinem uͤber¬ »waͤltigten Herzen, — ſeinen geblendeten Augen — »— ich verdiene alle Strafen, jede iſt mir eine Ver¬ »gebung — aber ich habe niemand vergeſſen als »mich. — — »Mais c'est moi que j'oublie en Vous »pardonnant« *) ſagte ſie mit einem zweideutigen Auge — er ſtand ſchweigend auf und waͤhlte in ei¬ ner Antwort, in der man ihm die Wahl der gelin¬ deſten oder der haͤrteſten Auslegung anzubieten ſchien, gern die letztere und ſuchte ſich ſelber willig mit die¬ ſer Demuͤthigung heim. Er trat in die ehrerbietigſte Entfernung zuruͤck, und Agnola in die ſtolzeſte. Durch einen geheimen Druck an die Wand, der glaub' ich eine eigene Klingel im Zimmer der Kammerfrau
*) Aber ich vergeſſe hingegen mich wenn ich verzeihe.
Heſperus. II. Th. X
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»nicht ab von deinem Emanuel und von deinem Va¬
»ter! Schau' an die Leinwand uͤber ihrem kranken
»Auge als verhuͤllte es der Tod — und ſinke nicht!«
»Ich ſinke nicht!« ſagte ſein ganzes Herz: er
wand ſich mit ehrerbietigem Schonen aus den pulſi¬
renden Armen und fiel, erſtarrend vor der Moͤglich¬
lichkeit einer Nachahmung des elenden Matthieu,
den er ſo verachtet hatte, außerhalb des Bettes an
ihrer hinausgenommenen Hand mit vorſtroͤmenden
Thraͤnen nieder und ſagte:
»Vergeben Sie dem Juͤngling, — ſeinem uͤber¬
»waͤltigten Herzen, — ſeinen geblendeten Augen —
»— ich verdiene alle Strafen, jede iſt mir eine Ver¬
»gebung — aber ich habe niemand vergeſſen als
»mich. — — »Mais c'est moi que j'oublie en Vous
»pardonnant« *) ſagte ſie mit einem zweideutigen
Auge — er ſtand ſchweigend auf und waͤhlte in ei¬
ner Antwort, in der man ihm die Wahl der gelin¬
deſten oder der haͤrteſten Auslegung anzubieten ſchien,
gern die letztere und ſuchte ſich ſelber willig mit die¬
ſer Demuͤthigung heim. Er trat in die ehrerbietigſte
Entfernung zuruͤck, und Agnola in die ſtolzeſte.
Durch einen geheimen Druck an die Wand, der glaub'
ich eine eigene Klingel im Zimmer der Kammerfrau
*) Aber ich vergeſſe hingegen mich wenn ich verzeihe.
Heſperus. II. Th. X
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/331>, abgerufen am 19.05.2024.
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