wovon man nie die andre Hälfte sieht -- neben ei¬ ner Anhöhe, die man wie andre Anhöhen um keine Festung dulden sollte -- und noch dazu an einem Hofe, wo man sonst alles Erhabne durch die Kleiderordnung erdrückt?
Sobald er aus dem Bette und Paullinum ist : will ich mit dem Leser weitläuftig über den ganzen Kasus disputiren -- jetzt muß er erst erzählt werden in Einem fort und mit vielem Feuer.
Er war gleichsam in die Luft geheftet -- Aber endlich wars Zeit, aus dieser Kulmination aller Ge¬ fühle und der Stellung zu weichen. Noch dazu er¬ höhte ein neuer Umstand die Gefahr und den Reiz seiner Attitüde zugleich -- Ein langer Seufzer schien ihren ganzen Busen zu überladen und aufzuheben und wie ein Zephyr, durch einen Lilienflor zu wogen -- und der überbauende Schneehügel schien vom schwellenden Herzen, das unter ihm glühte, und vom schwellenden Seufzer zu zittern -- Die Hand der zugehüllten Göttin bewegte sich mechanisch nach dem eingekerkerten Auge als wollte sie eine Thräne hin¬ ter dem Bande weg drücken. Viktor, in Sorge, sie verschiebe die Binde, zieht die Rechte ab von der Wand und die Linke vom Bette, um auf den Zähen schwebend, ohne Bestreifen sich aus diesem Zauber¬ himmel herauszubeugen. -- --
wovon man nie die andre Haͤlfte ſieht — neben ei¬ ner Anhoͤhe, die man wie andre Anhoͤhen um keine Feſtung dulden ſollte — und noch dazu an einem Hofe, wo man ſonſt alles Erhabne durch die Kleiderordnung erdruͤckt?
Sobald er aus dem Bette und Paullinum iſt : will ich mit dem Leſer weitlaͤuftig uͤber den ganzen Kaſus diſputiren — jetzt muß er erſt erzaͤhlt werden in Einem fort und mit vielem Feuer.
Er war gleichſam in die Luft geheftet — Aber endlich wars Zeit, aus dieſer Kulmination aller Ge¬ fuͤhle und der Stellung zu weichen. Noch dazu er¬ hoͤhte ein neuer Umſtand die Gefahr und den Reiz ſeiner Attituͤde zugleich — Ein langer Seufzer ſchien ihren ganzen Buſen zu uͤberladen und aufzuheben und wie ein Zephyr, durch einen Lilienflor zu wogen — und der uͤberbauende Schneehuͤgel ſchien vom ſchwellenden Herzen, das unter ihm gluͤhte, und vom ſchwellenden Seufzer zu zittern — Die Hand der zugehuͤllten Goͤttin bewegte ſich mechaniſch nach dem eingekerkerten Auge als wollte ſie eine Thraͤne hin¬ ter dem Bande weg druͤcken. Viktor, in Sorge, ſie verſchiebe die Binde, zieht die Rechte ab von der Wand und die Linke vom Bette, um auf den Zaͤhen ſchwebend, ohne Beſtreifen ſich aus dieſem Zauber¬ himmel herauszubeugen. — —
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wovon man nie die andre Haͤlfte ſieht — neben ei¬
ner Anhoͤhe, die man wie andre Anhoͤhen um keine
Feſtung dulden ſollte — und noch dazu an einem
Hofe, wo man ſonſt alles Erhabne durch die
Kleiderordnung erdruͤckt?
Sobald er aus dem Bette und Paullinum iſt :
will ich mit dem Leſer weitlaͤuftig uͤber den ganzen
Kaſus diſputiren — jetzt muß er erſt erzaͤhlt werden
in Einem fort und mit vielem Feuer.
Er war gleichſam in die Luft geheftet — Aber
endlich wars Zeit, aus dieſer Kulmination aller Ge¬
fuͤhle und der Stellung zu weichen. Noch dazu er¬
hoͤhte ein neuer Umſtand die Gefahr und den Reiz
ſeiner Attituͤde zugleich — Ein langer Seufzer ſchien
ihren ganzen Buſen zu uͤberladen und aufzuheben
und wie ein Zephyr, durch einen Lilienflor zu wogen
— und der uͤberbauende Schneehuͤgel ſchien vom
ſchwellenden Herzen, das unter ihm gluͤhte, und vom
ſchwellenden Seufzer zu zittern — Die Hand der
zugehuͤllten Goͤttin bewegte ſich mechaniſch nach dem
eingekerkerten Auge als wollte ſie eine Thraͤne hin¬
ter dem Bande weg druͤcken. Viktor, in Sorge, ſie
verſchiebe die Binde, zieht die Rechte ab von der
Wand und die Linke vom Bette, um auf den Zaͤhen
ſchwebend, ohne Beſtreifen ſich aus dieſem Zauber¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/329>, abgerufen am 28.11.2024.
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