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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Venedig kopirt -- (der Mann sah mit seinen Pfei¬
len wie ein Stachelschwein aus und hing doch neben
ihrem Kopfkissen) hatte sie die Bettgardine weiter
vorgezogen, als sein Namensvetter ohne Pfeile kam,
der mehr anbetete als angebetet wurde. --

Außer einem weiblichen Auge, das hinter einem
Schleier ruht, giebts nichts schöneres als eines, das
(hier hat der Teufel sechs End S hinter einander)
ihn gerade wegleget. Dem armen Doktor schlug eine
solche schöne Gluth entgegen -- da er als Okulist
verfahren wollte -- daß er sogleich als Protomedi¬
kus ihres Kopfes verfuhr, um an ihre Hand zu füh¬
len und sich dadurch zu retten. Denn während sie
den Handschuh Kallus von ihrer Hand -- es waren
aber nur halbe an den Spitzen ohne Handschuhe oder
halbe Flügeldecken d. h. hemiptera -- herunterzupf¬
te: so war der Doktor, weil sie darauf hinsehen
mußte, in der größten Sicherheit von der Welt und
das griechische Feuer fuhr ganz neben ihm vorbei.
Daher ist recht mit Bedacht in die Feuerordnung
der Moral ein ganzer fast zu langer Artikel hinein¬
gesetzt, der's jungen Mädgen verbietet, mit den Au¬
gen frei wie mit bloßem Lichte in der Visitenstube
herumzugehen, weil so viel brennbares Zeug darin
steht -- wir sämtlich -- sondern sie müssen sie in
einen Strickstrumpf oder Nährahmen oder in ein

Venedig kopirt — (der Mann ſah mit ſeinen Pfei¬
len wie ein Stachelſchwein aus und hing doch neben
ihrem Kopfkiſſen) hatte ſie die Bettgardine weiter
vorgezogen, als ſein Namensvetter ohne Pfeile kam,
der mehr anbetete als angebetet wurde. —

Außer einem weiblichen Auge, das hinter einem
Schleier ruht, giebts nichts ſchoͤneres als eines, das
(hier hat der Teufel ſechs End S hinter einander)
ihn gerade wegleget. Dem armen Doktor ſchlug eine
ſolche ſchoͤne Gluth entgegen — da er als Okuliſt
verfahren wollte — daß er ſogleich als Protomedi¬
kus ihres Kopfes verfuhr, um an ihre Hand zu fuͤh¬
len und ſich dadurch zu retten. Denn waͤhrend ſie
den Handſchuh Kallus von ihrer Hand — es waren
aber nur halbe an den Spitzen ohne Handſchuhe oder
halbe Fluͤgeldecken d. h. hemiptera — herunterzupf¬
te: ſo war der Doktor, weil ſie darauf hinſehen
mußte, in der groͤßten Sicherheit von der Welt und
das griechiſche Feuer fuhr ganz neben ihm vorbei.
Daher iſt recht mit Bedacht in die Feuerordnung
der Moral ein ganzer faſt zu langer Artikel hinein¬
geſetzt, der's jungen Maͤdgen verbietet, mit den Au¬
gen frei wie mit bloßem Lichte in der Viſitenſtube
herumzugehen, weil ſo viel brennbares Zeug darin
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[311/0321] Venedig kopirt — (der Mann ſah mit ſeinen Pfei¬ len wie ein Stachelſchwein aus und hing doch neben ihrem Kopfkiſſen) hatte ſie die Bettgardine weiter vorgezogen, als ſein Namensvetter ohne Pfeile kam, der mehr anbetete als angebetet wurde. — Außer einem weiblichen Auge, das hinter einem Schleier ruht, giebts nichts ſchoͤneres als eines, das (hier hat der Teufel ſechs End S hinter einander) ihn gerade wegleget. Dem armen Doktor ſchlug eine ſolche ſchoͤne Gluth entgegen — da er als Okuliſt verfahren wollte — daß er ſogleich als Protomedi¬ kus ihres Kopfes verfuhr, um an ihre Hand zu fuͤh¬ len und ſich dadurch zu retten. Denn waͤhrend ſie den Handſchuh Kallus von ihrer Hand — es waren aber nur halbe an den Spitzen ohne Handſchuhe oder halbe Fluͤgeldecken d. h. hemiptera — herunterzupf¬ te: ſo war der Doktor, weil ſie darauf hinſehen mußte, in der groͤßten Sicherheit von der Welt und das griechiſche Feuer fuhr ganz neben ihm vorbei. Daher iſt recht mit Bedacht in die Feuerordnung der Moral ein ganzer faſt zu langer Artikel hinein¬ geſetzt, der's jungen Maͤdgen verbietet, mit den Au¬ gen frei wie mit bloßem Lichte in der Viſitenſtube herumzugehen, weil ſo viel brennbares Zeug darin ſteht — wir ſaͤmtlich — ſondern ſie muͤſſen ſie in einen Strickſtrumpf oder Naͤhrahmen oder in ein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/321>, abgerufen am 27.11.2024.