Sie empfing ihn im Bette -- nicht ihrer Krankheit sondern ihres Standes wegen: denn für Damen von einigem Range ist das Bette das Hoflager -- die Moosbank -- der Hochaltar -- die Königspfalz -- kurz der Fürstenstuhl und Sessel. Wie der Philo¬ soph Deskartes, der Abt Galiani und der alte Schandy, so können sie in diesem Treibhaus am besten denken und arbeiten. Ob sie gleich im Bette lag, so war sie, wie gesagt, doch nicht gesund, son¬ dern von Kopf- und Augenschmerzen angefallen. Da¬ her hatte sie von ihrer fortgeschickten Dienerschaft für heute nichts behalten als eine Kammerfrau, die sie sehr liebte, und die Mücke an der Wand, die sie irrte und unsern Doktor, der eines von beiden unterließ. Ich hätte eine im offenstehenden Bilder¬ kabinet seßhafte Hofdame gerne mitgezählet; aber sie saß so stumm und unbeweglich draussen, daß Viktor schwur, sie ist entweder ein Kniestück oder -- eine Deutsche -- oder beides. Es ersparte den verbrüh¬ ten Augen der Fürstin eben soviel Schmerzen, daß der grüne Lichtschirm und die grünen Atlastapeten und die grünen Atlasgardinen im Krankenkabinet ein wogendes blaues Helldunkel zusammengoßen, als es gesunden Augen Vergnügen verschaffte. Eine ein¬ zige Wachskerze, stand auf einem Leuchter, den alle Jahrszeiten einfaßten, nämlich abgebildete -- über welche Sitte der Großen, die Natur immer nur in
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Sie empfing ihn im Bette — nicht ihrer Krankheit ſondern ihres Standes wegen: denn fuͤr Damen von einigem Range iſt das Bette das Hoflager — die Moosbank — der Hochaltar — die Koͤnigspfalz — kurz der Fuͤrſtenſtuhl und Seſſel. Wie der Philo¬ ſoph Deskartes, der Abt Galiani und der alte Schandy, ſo koͤnnen ſie in dieſem Treibhaus am beſten denken und arbeiten. Ob ſie gleich im Bette lag, ſo war ſie, wie geſagt, doch nicht geſund, ſon¬ dern von Kopf- und Augenſchmerzen angefallen. Da¬ her hatte ſie von ihrer fortgeſchickten Dienerſchaft fuͤr heute nichts behalten als eine Kammerfrau, die ſie ſehr liebte, und die Muͤcke an der Wand, die ſie irrte und unſern Doktor, der eines von beiden unterließ. Ich haͤtte eine im offenſtehenden Bilder¬ kabinet ſeßhafte Hofdame gerne mitgezaͤhlet; aber ſie ſaß ſo ſtumm und unbeweglich drauſſen, daß Viktor ſchwur, ſie iſt entweder ein Knieſtuͤck oder — eine Deutſche — oder beides. Es erſparte den verbruͤh¬ ten Augen der Fuͤrſtin eben ſoviel Schmerzen, daß der gruͤne Lichtſchirm und die gruͤnen Atlastapeten und die gruͤnen Atlasgardinen im Krankenkabinet ein wogendes blaues Helldunkel zuſammengoßen, als es geſunden Augen Vergnuͤgen verſchaffte. Eine ein¬ zige Wachskerze, ſtand auf einem Leuchter, den alle Jahrszeiten einfaßten, naͤmlich abgebildete — uͤber welche Sitte der Großen, die Natur immer nur in
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Sie empfing ihn im Bette — nicht ihrer Krankheit
ſondern ihres Standes wegen: denn fuͤr Damen von
einigem Range iſt das Bette das Hoflager — die
Moosbank — der Hochaltar — die Koͤnigspfalz —
kurz der Fuͤrſtenſtuhl und Seſſel. Wie der Philo¬
ſoph Deskartes, der Abt Galiani und der alte
Schandy, ſo koͤnnen ſie in dieſem Treibhaus am
beſten denken und arbeiten. Ob ſie gleich im Bette
lag, ſo war ſie, wie geſagt, doch nicht geſund, ſon¬
dern von Kopf- und Augenſchmerzen angefallen. Da¬
her hatte ſie von ihrer fortgeſchickten Dienerſchaft
fuͤr heute nichts behalten als eine Kammerfrau, die
ſie ſehr liebte, und die Muͤcke an der Wand, die
ſie irrte und unſern Doktor, der eines von beiden
unterließ. Ich haͤtte eine im offenſtehenden Bilder¬
kabinet ſeßhafte Hofdame gerne mitgezaͤhlet; aber ſie
ſaß ſo ſtumm und unbeweglich drauſſen, daß Viktor
ſchwur, ſie iſt entweder ein Knieſtuͤck oder — eine
Deutſche — oder beides. Es erſparte den verbruͤh¬
ten Augen der Fuͤrſtin eben ſoviel Schmerzen, daß
der gruͤne Lichtſchirm und die gruͤnen Atlastapeten
und die gruͤnen Atlasgardinen im Krankenkabinet ein
wogendes blaues Helldunkel zuſammengoßen, als
es geſunden Augen Vergnuͤgen verſchaffte. Eine ein¬
zige Wachskerze, ſtand auf einem Leuchter, den alle
Jahrszeiten einfaßten, naͤmlich abgebildete — uͤber
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/317>, abgerufen am 27.11.2024.
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