sammen und hielts für unmöglich, daß er ein solcher Narr seyn können. Aber einem Menschen ist so etwas leicht. Seine Phantasie warf auf jede Gegenwart, auf jeden Einfall soviel Fokus-Lichtern aus tausend Spiegeln zurück und zog um die Zukunft, die dar¬ über hinauslag, soviel Laub- und Nebelwerk herum, daß er ordentlich erschrack, wenn ihm eine närrische Handlung einfiel: denn er wuste, wenn er sie noch zehnmal zurückgewiesen und noch dreißigmal überson¬ nen hätte, daß er sie dann -- begehen würde. -- Da beide vor die Fürstin traten: so war Viktor in jener angenehmen Verfassung, die Informatoren und jungen Gelehrten nichts neues ist, die ihnen die Glieder verknöchert und das Herz mazerirt und die Zunge petrifiziret -- nicht die Gewißheit, daß Agnola (so hies die Fürstin) jenes Uhr-Inserat gelesen habe, machte ihn so verlegen, sondern die Ungewißheit. In der Angst dachte er gar nicht dar¬ an, daß sie ja seine Handschrift und den Autor des Schnitzgens gar nicht kenne; und denkt man auch in der Angst daran, so geht sie doch nicht weg.
-- Aber alles war zugleich über, unter, wider seine Erwartung. Die Fürstin hatte das empfindsa¬ me Gesicht mit der Reisekleidung weggelegt und ein festes feines Gallagesicht dafür aufgetragen. Der gekrönte Ehevogt Jenner wurde von ihr mit soviel warmen Anstand empfangen als wär' er sein eigner
ſammen und hielts fuͤr unmoͤglich, daß er ein ſolcher Narr ſeyn koͤnnen. Aber einem Menſchen iſt ſo etwas leicht. Seine Phantaſie warf auf jede Gegenwart, auf jeden Einfall ſoviel Fokus-Lichtern aus tauſend Spiegeln zuruͤck und zog um die Zukunft, die dar¬ uͤber hinauslag, ſoviel Laub- und Nebelwerk herum, daß er ordentlich erſchrack, wenn ihm eine naͤrriſche Handlung einfiel: denn er wuſte, wenn er ſie noch zehnmal zuruͤckgewieſen und noch dreißigmal uͤberſon¬ nen haͤtte, daß er ſie dann — begehen wuͤrde. — Da beide vor die Fuͤrſtin traten: ſo war Viktor in jener angenehmen Verfaſſung, die Informatoren und jungen Gelehrten nichts neues iſt, die ihnen die Glieder verknoͤchert und das Herz mazerirt und die Zunge petrifiziret — nicht die Gewißheit, daß Agnola (ſo hies die Fuͤrſtin) jenes Uhr-Inſerat geleſen habe, machte ihn ſo verlegen, ſondern die Ungewißheit. In der Angſt dachte er gar nicht dar¬ an, daß ſie ja ſeine Handſchrift und den Autor des Schnitzgens gar nicht kenne; und denkt man auch in der Angſt daran, ſo geht ſie doch nicht weg.
— Aber alles war zugleich uͤber, unter, wider ſeine Erwartung. Die Fuͤrſtin hatte das empfindſa¬ me Geſicht mit der Reiſekleidung weggelegt und ein feſtes feines Gallageſicht dafuͤr aufgetragen. Der gekroͤnte Ehevogt Jenner wurde von ihr mit ſoviel warmen Anſtand empfangen als waͤr' er ſein eigner
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0030"n="20"/>ſammen und hielts fuͤr unmoͤglich, daß er ein ſolcher<lb/>
Narr ſeyn koͤnnen. Aber einem Menſchen iſt ſo etwas<lb/>
leicht. Seine Phantaſie warf auf jede Gegenwart,<lb/>
auf jeden Einfall ſoviel Fokus-Lichtern aus tauſend<lb/>
Spiegeln zuruͤck und zog um die Zukunft, die dar¬<lb/>
uͤber hinauslag, ſoviel Laub- und Nebelwerk herum,<lb/>
daß er ordentlich erſchrack, wenn ihm eine naͤrriſche<lb/>
Handlung einfiel: denn er wuſte, wenn er ſie noch<lb/>
zehnmal zuruͤckgewieſen und noch dreißigmal uͤberſon¬<lb/>
nen haͤtte, daß er ſie dann — begehen wuͤrde. —<lb/>
Da beide vor die Fuͤrſtin traten: ſo war Viktor in<lb/>
jener angenehmen Verfaſſung, die Informatoren und<lb/>
jungen Gelehrten nichts neues iſt, die ihnen die<lb/>
Glieder verknoͤchert und das Herz mazerirt und die<lb/>
Zunge petrifiziret — nicht die Gewißheit, daß<lb/><hirendition="#g">Agnola</hi> (ſo hies die Fuͤrſtin) jenes Uhr-Inſerat<lb/>
geleſen habe, machte ihn ſo verlegen, ſondern die<lb/>
Ungewißheit. In der Angſt dachte er gar nicht dar¬<lb/>
an, daß ſie ja ſeine Handſchrift und den Autor des<lb/>
Schnitzgens gar nicht kenne; und denkt man auch in<lb/>
der Angſt daran, ſo geht ſie doch nicht weg.</p><lb/><p>— Aber alles war zugleich uͤber, unter, wider<lb/>ſeine Erwartung. Die Fuͤrſtin hatte das empfindſa¬<lb/>
me Geſicht mit der Reiſekleidung weggelegt und<lb/>
ein feſtes feines Gallageſicht dafuͤr aufgetragen. Der<lb/>
gekroͤnte Ehevogt Jenner wurde von ihr mit ſoviel<lb/>
warmen Anſtand empfangen als waͤr' er ſein eigner<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[20/0030]
ſammen und hielts fuͤr unmoͤglich, daß er ein ſolcher
Narr ſeyn koͤnnen. Aber einem Menſchen iſt ſo etwas
leicht. Seine Phantaſie warf auf jede Gegenwart,
auf jeden Einfall ſoviel Fokus-Lichtern aus tauſend
Spiegeln zuruͤck und zog um die Zukunft, die dar¬
uͤber hinauslag, ſoviel Laub- und Nebelwerk herum,
daß er ordentlich erſchrack, wenn ihm eine naͤrriſche
Handlung einfiel: denn er wuſte, wenn er ſie noch
zehnmal zuruͤckgewieſen und noch dreißigmal uͤberſon¬
nen haͤtte, daß er ſie dann — begehen wuͤrde. —
Da beide vor die Fuͤrſtin traten: ſo war Viktor in
jener angenehmen Verfaſſung, die Informatoren und
jungen Gelehrten nichts neues iſt, die ihnen die
Glieder verknoͤchert und das Herz mazerirt und die
Zunge petrifiziret — nicht die Gewißheit, daß
Agnola (ſo hies die Fuͤrſtin) jenes Uhr-Inſerat
geleſen habe, machte ihn ſo verlegen, ſondern die
Ungewißheit. In der Angſt dachte er gar nicht dar¬
an, daß ſie ja ſeine Handſchrift und den Autor des
Schnitzgens gar nicht kenne; und denkt man auch in
der Angſt daran, ſo geht ſie doch nicht weg.
— Aber alles war zugleich uͤber, unter, wider
ſeine Erwartung. Die Fuͤrſtin hatte das empfindſa¬
me Geſicht mit der Reiſekleidung weggelegt und
ein feſtes feines Gallageſicht dafuͤr aufgetragen. Der
gekroͤnte Ehevogt Jenner wurde von ihr mit ſoviel
warmen Anſtand empfangen als waͤr' er ſein eigner
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/30>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.