"lichen Wolke, die man die Ewigkeit nennt, wohnt "der der uns geschaffen hat und liebt" -- diesen Tag will ich heute in meiner Seele wiederho¬ len; und nie erlösche er auch in meinem Julius und Horion!
Ich habe oft zu meinem Julius gesagt: "ich habe "dir den größten Gedanken des Menschen, der seine "Seele zusammenbeugt und doch wieder aufrichtet "auf ewig, noch nicht gegeben: aber ich sage dir "ihn an dem Tage, wo dein und mein Geist am "reinsten ist oder wo ich sterbe:" Daher bat er mich oft, wenn sein Engel bei ihm gewesen war oder wenn die Flöte und die schauernde Nacht oder der Sturm ihn erhoben hatte: "sage mir, Emanuel, den größten Gedanken des Menschen!" --
Es war an einem holden Juliusabend, wo mein Geliebter an meinem Busen auf dem Berge unter der Trauerbirke lag und weinte und mich fragte: "Sage mir, warum ich diesen Abend so sehr weine? "-- Thust Du es denn nie, Emanuel? Es fallen "aber auch warme Tropfen von den Wolken auf "meine Wangen." -- Ich antwortete: "im Him¬ "mel ziehen kleine warme Nebel herum und ver¬ "schütten einige Thautropfen; aber geht nicht der "Engel in deiner Seele auf und nieder? Denn du "streckest deine Hand aus, um ihn anzurühren." -- Julius sagte: "Ja, er steht vor meinen Gedanken;
»lichen Wolke, die man die Ewigkeit nennt, wohnt »der der uns geſchaffen hat und liebt« — dieſen Tag will ich heute in meiner Seele wiederho¬ len; und nie erloͤſche er auch in meinem Julius und Horion!
Ich habe oft zu meinem Julius geſagt: »ich habe »dir den groͤßten Gedanken des Menſchen, der ſeine »Seele zuſammenbeugt und doch wieder aufrichtet »auf ewig, noch nicht gegeben: aber ich ſage dir »ihn an dem Tage, wo dein und mein Geiſt am »reinſten iſt oder wo ich ſterbe:« Daher bat er mich oft, wenn ſein Engel bei ihm geweſen war oder wenn die Floͤte und die ſchauernde Nacht oder der Sturm ihn erhoben hatte: »ſage mir, Emanuel, den groͤßten Gedanken des Menſchen!« —
Es war an einem holden Juliusabend, wo mein Geliebter an meinem Buſen auf dem Berge unter der Trauerbirke lag und weinte und mich fragte: »Sage mir, warum ich dieſen Abend ſo ſehr weine? »— Thuſt Du es denn nie, Emanuel? Es fallen »aber auch warme Tropfen von den Wolken auf »meine Wangen.« — Ich antwortete: »im Him¬ »mel ziehen kleine warme Nebel herum und ver¬ »ſchuͤtten einige Thautropfen; aber geht nicht der »Engel in deiner Seele auf und nieder? Denn du »ſtreckeſt deine Hand aus, um ihn anzuruͤhren.« — Julius ſagte: »Ja, er ſteht vor meinen Gedanken;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0276"n="266"/>
»lichen Wolke, die man die Ewigkeit nennt, wohnt<lb/>
»der der uns geſchaffen hat und liebt« — dieſen<lb/>
Tag will ich heute in meiner Seele wiederho¬<lb/>
len; und nie erloͤſche er auch in meinem Julius und<lb/>
Horion!</p><lb/><p>Ich habe oft zu meinem Julius geſagt: »ich habe<lb/>
»dir den groͤßten Gedanken des Menſchen, der ſeine<lb/>
»Seele zuſammenbeugt und doch wieder aufrichtet<lb/>
»auf ewig, noch nicht gegeben: aber ich ſage dir<lb/>
»ihn an dem Tage, wo dein und mein Geiſt am<lb/>
»reinſten iſt oder wo ich ſterbe:« Daher bat er<lb/>
mich oft, wenn <hirendition="#g">ſein Engel</hi> bei ihm geweſen war<lb/>
oder wenn die Floͤte und die ſchauernde Nacht oder<lb/>
der Sturm ihn erhoben hatte: »ſage mir, Emanuel,<lb/>
den groͤßten Gedanken des Menſchen!« —</p><lb/><p>Es war an einem holden Juliusabend, wo mein<lb/>
Geliebter an meinem Buſen auf dem Berge unter<lb/>
der Trauerbirke lag und weinte und mich fragte:<lb/>
»Sage mir, warum ich dieſen Abend ſo ſehr weine?<lb/>
»— Thuſt Du es denn nie, Emanuel? Es fallen<lb/>
»aber auch warme Tropfen von den Wolken auf<lb/>
»meine Wangen.« — Ich antwortete: »im Him¬<lb/>
»mel ziehen kleine warme Nebel herum und ver¬<lb/>
»ſchuͤtten einige Thautropfen; aber geht nicht der<lb/>
»Engel in deiner Seele auf und nieder? Denn du<lb/>
»ſtreckeſt deine Hand aus, um ihn anzuruͤhren.« —<lb/>
Julius ſagte: »Ja, er ſteht vor meinen Gedanken;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[266/0276]
»lichen Wolke, die man die Ewigkeit nennt, wohnt
»der der uns geſchaffen hat und liebt« — dieſen
Tag will ich heute in meiner Seele wiederho¬
len; und nie erloͤſche er auch in meinem Julius und
Horion!
Ich habe oft zu meinem Julius geſagt: »ich habe
»dir den groͤßten Gedanken des Menſchen, der ſeine
»Seele zuſammenbeugt und doch wieder aufrichtet
»auf ewig, noch nicht gegeben: aber ich ſage dir
»ihn an dem Tage, wo dein und mein Geiſt am
»reinſten iſt oder wo ich ſterbe:« Daher bat er
mich oft, wenn ſein Engel bei ihm geweſen war
oder wenn die Floͤte und die ſchauernde Nacht oder
der Sturm ihn erhoben hatte: »ſage mir, Emanuel,
den groͤßten Gedanken des Menſchen!« —
Es war an einem holden Juliusabend, wo mein
Geliebter an meinem Buſen auf dem Berge unter
der Trauerbirke lag und weinte und mich fragte:
»Sage mir, warum ich dieſen Abend ſo ſehr weine?
»— Thuſt Du es denn nie, Emanuel? Es fallen
»aber auch warme Tropfen von den Wolken auf
»meine Wangen.« — Ich antwortete: »im Him¬
»mel ziehen kleine warme Nebel herum und ver¬
»ſchuͤtten einige Thautropfen; aber geht nicht der
»Engel in deiner Seele auf und nieder? Denn du
»ſtreckeſt deine Hand aus, um ihn anzuruͤhren.« —
Julius ſagte: »Ja, er ſteht vor meinen Gedanken;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/276>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.