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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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"aber ich wollte nur dich anrühren: denn der Engel
"ist ja aus der Erde gegangen und ich sehne mich
"recht nach seiner Stimme. In mir wallen Traum¬
"gestalten in einander, aber sie haben keine so hel¬
"len Farben wie im Schlafe -- holde lächelnde An¬
"gesichter blicken mich an und kommen mit aufge¬
"breiteten Schattenarmen auf mich und winken mei¬
"ner Seele und zerfließen, eh' ich sie an mein Herz
"andrücke -- Mein Emanuel, ist denn dein Ange¬
"sicht nicht mit unter meinen Schattengestalten?"
Hier schloß er sein nasses Angesicht glühend an mei¬
nes, das ihm abgeschattet vorzuschweben schien: eine
Wolke sprengte das Weihwasser des Himmels über
unsre Umarmung und ich sagte: wir sind heute so
weich bloß durch das was uns umringt und was ich
jetzt sehe. -- Er antwortete: "o sage mir es, was
"du siehest und höre nicht auf bis die Sonne hin¬
"abgegangen ist."

Mein Herz schwamm in Liebe und zitterte in
Entzücken, unter meiner Rede: "Geliebter, die Erde
"ist heute so schön, das macht ja den Menschen
"weicher -- der Himmel ruht küssend und liebend
"an der Erde wie ein Vater an der Mutter, und
"ihre Kinder, die Blumen und die schlagenden Her¬
"zen, fallen in die Umarmung ein und schmiegen
"sich an die Mutter. -- Der Zweig hebt leise seinen
"Sänger auf und nieder, die Blume wiegt ihre

»aber ich wollte nur dich anruͤhren: denn der Engel
»iſt ja aus der Erde gegangen und ich ſehne mich
»recht nach ſeiner Stimme. In mir wallen Traum¬
»geſtalten in einander, aber ſie haben keine ſo hel¬
»len Farben wie im Schlafe — holde laͤchelnde An¬
»geſichter blicken mich an und kommen mit aufge¬
»breiteten Schattenarmen auf mich und winken mei¬
»ner Seele und zerfließen, eh' ich ſie an mein Herz
»andruͤcke — Mein Emanuel, iſt denn dein Ange¬
»ſicht nicht mit unter meinen Schattengeſtalten?«
Hier ſchloß er ſein naſſes Angeſicht gluͤhend an mei¬
nes, das ihm abgeſchattet vorzuſchweben ſchien: eine
Wolke ſprengte das Weihwaſſer des Himmels uͤber
unſre Umarmung und ich ſagte: wir ſind heute ſo
weich bloß durch das was uns umringt und was ich
jetzt ſehe. — Er antwortete: »o ſage mir es, was
»du ſieheſt und hoͤre nicht auf bis die Sonne hin¬
»abgegangen iſt.«

Mein Herz ſchwamm in Liebe und zitterte in
Entzuͤcken, unter meiner Rede: »Geliebter, die Erde
»iſt heute ſo ſchoͤn, das macht ja den Menſchen
»weicher — der Himmel ruht kuͤſſend und liebend
»an der Erde wie ein Vater an der Mutter, und
»ihre Kinder, die Blumen und die ſchlagenden Her¬
»zen, fallen in die Umarmung ein und ſchmiegen
»ſich an die Mutter. — Der Zweig hebt leiſe ſeinen
»Saͤnger auf und nieder, die Blume wiegt ihre

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[267/0277] »aber ich wollte nur dich anruͤhren: denn der Engel »iſt ja aus der Erde gegangen und ich ſehne mich »recht nach ſeiner Stimme. In mir wallen Traum¬ »geſtalten in einander, aber ſie haben keine ſo hel¬ »len Farben wie im Schlafe — holde laͤchelnde An¬ »geſichter blicken mich an und kommen mit aufge¬ »breiteten Schattenarmen auf mich und winken mei¬ »ner Seele und zerfließen, eh' ich ſie an mein Herz »andruͤcke — Mein Emanuel, iſt denn dein Ange¬ »ſicht nicht mit unter meinen Schattengeſtalten?« Hier ſchloß er ſein naſſes Angeſicht gluͤhend an mei¬ nes, das ihm abgeſchattet vorzuſchweben ſchien: eine Wolke ſprengte das Weihwaſſer des Himmels uͤber unſre Umarmung und ich ſagte: wir ſind heute ſo weich bloß durch das was uns umringt und was ich jetzt ſehe. — Er antwortete: »o ſage mir es, was »du ſieheſt und hoͤre nicht auf bis die Sonne hin¬ »abgegangen iſt.« Mein Herz ſchwamm in Liebe und zitterte in Entzuͤcken, unter meiner Rede: »Geliebter, die Erde »iſt heute ſo ſchoͤn, das macht ja den Menſchen »weicher — der Himmel ruht kuͤſſend und liebend »an der Erde wie ein Vater an der Mutter, und »ihre Kinder, die Blumen und die ſchlagenden Her¬ »zen, fallen in die Umarmung ein und ſchmiegen »ſich an die Mutter. — Der Zweig hebt leiſe ſeinen »Saͤnger auf und nieder, die Blume wiegt ihre

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/277>, abgerufen am 17.05.2024.