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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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schen den Seelen, nicht zwischen den Ständen. Da¬
her kam ihre wachsende Liebe gegen die außer dem
Lohkasten eines Stammbaums, nur in der Gemein¬
hut grünende Agathe -- welche Liebe einmal ich und
der Leser im ersten Bande aus Scharfsicht für den
Deckmantel einer andern Liebe gegen Flamin erklärt
haben und die uns beiden den Tadel gegen eine Hel¬
din abgewöhnen sollte, die ihn hintennach immer
widerlegt. --

Auf der dicken Brieftasche, die Agathe brachte,
war die Handschrift der Adresse von -- Emanuel,
welchen Klotilde alles an die Pfarrerin kouvertiren
ließ, um ihrer Stiefmutter das -- Zumachen ihrer
Briefe abzunehmen. Die Frau Le Baut hatte diese
Einsicht der Akten, diese Sokrates Hebammenkunst
im Ministerio erlernt, das ein Recht besitzt Haussu¬
chung in den Briefen aller Unterthanen zu thun,
weil es sie entweder für Pestkranke oder für Ge¬
fangne halten kann wenn es will. -- Während die
Stieftochter im Nebenzimmer das äußere Paquet
erbrach, weil sie aus seiner Dicke einen Einschluß
für den Doktor prophezeiete; hauchte letzterer aus
Zufall -- oder aus Absicht: denn seit einiger Zeit
legte er überall seine Entzifferungskanzleien der Wei¬
ber an, im engsten Winkel, in jeder Kleidfalte, in
den Spuren gelesener Bücher -- haucht' er sagt' ich
zufälliger Weise an die Fensterscheiben, auf denen

ſchen den Seelen, nicht zwiſchen den Staͤnden. Da¬
her kam ihre wachſende Liebe gegen die außer dem
Lohkaſten eines Stammbaums, nur in der Gemein¬
hut gruͤnende Agathe — welche Liebe einmal ich und
der Leſer im erſten Bande aus Scharfſicht fuͤr den
Deckmantel einer andern Liebe gegen Flamin erklaͤrt
haben und die uns beiden den Tadel gegen eine Hel¬
din abgewoͤhnen ſollte, die ihn hintennach immer
widerlegt. —

Auf der dicken Brieftaſche, die Agathe brachte,
war die Handſchrift der Adreſſe von — Emanuel,
welchen Klotilde alles an die Pfarrerin kouvertiren
ließ, um ihrer Stiefmutter das — Zumachen ihrer
Briefe abzunehmen. Die Frau Le Baut hatte dieſe
Einſicht der Akten, dieſe Sokrates Hebammenkunſt
im Miniſterio erlernt, das ein Recht beſitzt Hausſu¬
chung in den Briefen aller Unterthanen zu thun,
weil es ſie entweder fuͤr Peſtkranke oder fuͤr Ge¬
fangne halten kann wenn es will. — Waͤhrend die
Stieftochter im Nebenzimmer das aͤußere Paquet
erbrach, weil ſie aus ſeiner Dicke einen Einſchluß
fuͤr den Doktor prophezeiete; hauchte letzterer aus
Zufall — oder aus Abſicht: denn ſeit einiger Zeit
legte er uͤberall ſeine Entzifferungskanzleien der Wei¬
ber an, im engſten Winkel, in jeder Kleidfalte, in
den Spuren geleſener Buͤcher — haucht' er ſagt' ich
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[255/0265] ſchen den Seelen, nicht zwiſchen den Staͤnden. Da¬ her kam ihre wachſende Liebe gegen die außer dem Lohkaſten eines Stammbaums, nur in der Gemein¬ hut gruͤnende Agathe — welche Liebe einmal ich und der Leſer im erſten Bande aus Scharfſicht fuͤr den Deckmantel einer andern Liebe gegen Flamin erklaͤrt haben und die uns beiden den Tadel gegen eine Hel¬ din abgewoͤhnen ſollte, die ihn hintennach immer widerlegt. — Auf der dicken Brieftaſche, die Agathe brachte, war die Handſchrift der Adreſſe von — Emanuel, welchen Klotilde alles an die Pfarrerin kouvertiren ließ, um ihrer Stiefmutter das — Zumachen ihrer Briefe abzunehmen. Die Frau Le Baut hatte dieſe Einſicht der Akten, dieſe Sokrates Hebammenkunſt im Miniſterio erlernt, das ein Recht beſitzt Hausſu¬ chung in den Briefen aller Unterthanen zu thun, weil es ſie entweder fuͤr Peſtkranke oder fuͤr Ge¬ fangne halten kann wenn es will. — Waͤhrend die Stieftochter im Nebenzimmer das aͤußere Paquet erbrach, weil ſie aus ſeiner Dicke einen Einſchluß fuͤr den Doktor prophezeiete; hauchte letzterer aus Zufall — oder aus Abſicht: denn ſeit einiger Zeit legte er uͤberall ſeine Entzifferungskanzleien der Wei¬ ber an, im engſten Winkel, in jeder Kleidfalte, in den Spuren geleſener Buͤcher — haucht' er ſagt' ich zufaͤlliger Weiſe an die Fenſterſcheiben, auf denen

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/265>, abgerufen am 17.05.2024.