"faßte mit der kalten Hand ihre Hand und sagte: "ich gehe mit dir!" -- indem er so dachte und in¬ dem die Kleine weinend die sinkende Rechte zog: so wurde ihr Angesicht wirklich bleicher und die linke gleitete vom Schoos herab -- -- hier wurde jenes Schwert mit der Schärfe über sein Herz gezogen -- -- Aber bald schlug sie wieder die irren Augen auf, todesschlaftrunken sich besinnend und schämend. Sie beschönigte die flüchtige Ohnmacht durch die Bemer¬ kung: "ich habe es wie jener Schauspieler mit der "Urne seines Kindes, gemacht, ich dachte mich an "die Stelle meiner Giulia in ihrer letzten Minute, "aber ein wenig zu glücklich." --
Er wollte eben medizinische Hirtenbriefe gegen diese zernagende Schwärmerei abfassen -- so sehr transponirt eine unglückliche Liebe jedes weibliche Herz aus dem majore Ton in den minore Ton, so¬ gar einer Klotilden ihres, deren Stirn männlich und deren Kinn sich fast mehr zum Muth als zur Schön¬ heit erhob -- als ganz andre Hirtenbriefe kamen. Die Botenmeisterin derselben war Viktors glückli¬ chere Freundin -- Agathe Lache wieder Leben, du Unbefangne, in zwei Herzen, auf welche der Tod seinen langen fliegenden Schatten geworfen! Sie fiel ver¬ traut in zwei freundschaftliche Arme; aber gegen ih¬ ren Bruder Doktor, der so lange statt des ganzen Rumpfs nur seine Hand d. h. seine Briefe nach St.
»faßte mit der kalten Hand ihre Hand und ſagte: »ich gehe mit dir!« — indem er ſo dachte und in¬ dem die Kleine weinend die ſinkende Rechte zog: ſo wurde ihr Angeſicht wirklich bleicher und die linke gleitete vom Schoos herab — — hier wurde jenes Schwert mit der Schaͤrfe uͤber ſein Herz gezogen — — Aber bald ſchlug ſie wieder die irren Augen auf, todesſchlaftrunken ſich beſinnend und ſchaͤmend. Sie beſchoͤnigte die fluͤchtige Ohnmacht durch die Bemer¬ kung: »ich habe es wie jener Schauſpieler mit der »Urne ſeines Kindes, gemacht, ich dachte mich an »die Stelle meiner Giulia in ihrer letzten Minute, »aber ein wenig zu gluͤcklich.« —
Er wollte eben mediziniſche Hirtenbriefe gegen dieſe zernagende Schwaͤrmerei abfaſſen — ſo ſehr transponirt eine ungluͤckliche Liebe jedes weibliche Herz aus dem majore Ton in den minore Ton, ſo¬ gar einer Klotilden ihres, deren Stirn maͤnnlich und deren Kinn ſich faſt mehr zum Muth als zur Schoͤn¬ heit erhob — als ganz andre Hirtenbriefe kamen. Die Botenmeiſterin derſelben war Viktors gluͤckli¬ chere Freundin — Agathe Lache wieder Leben, du Unbefangne, in zwei Herzen, auf welche der Tod ſeinen langen fliegenden Schatten geworfen! Sie fiel ver¬ traut in zwei freundſchaftliche Arme; aber gegen ih¬ ren Bruder Doktor, der ſo lange ſtatt des ganzen Rumpfs nur ſeine Hand d. h. ſeine Briefe nach St.
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»faßte mit der kalten Hand ihre Hand und ſagte:
»ich gehe mit dir!« — indem er ſo dachte und in¬
dem die Kleine weinend die ſinkende Rechte zog: ſo
wurde ihr Angeſicht wirklich bleicher und die linke
gleitete vom Schoos herab — — hier wurde jenes
Schwert mit der Schaͤrfe uͤber ſein Herz gezogen —
— Aber bald ſchlug ſie wieder die irren Augen auf,
todesſchlaftrunken ſich beſinnend und ſchaͤmend. Sie
beſchoͤnigte die fluͤchtige Ohnmacht durch die Bemer¬
kung: »ich habe es wie jener Schauſpieler mit der
»Urne ſeines Kindes, gemacht, ich dachte mich an
»die Stelle meiner Giulia in ihrer letzten Minute,
»aber ein wenig zu gluͤcklich.« —
Er wollte eben mediziniſche Hirtenbriefe gegen
dieſe zernagende Schwaͤrmerei abfaſſen — ſo ſehr
transponirt eine ungluͤckliche Liebe jedes weibliche
Herz aus dem majore Ton in den minore Ton, ſo¬
gar einer Klotilden ihres, deren Stirn maͤnnlich und
deren Kinn ſich faſt mehr zum Muth als zur Schoͤn¬
heit erhob — als ganz andre Hirtenbriefe kamen.
Die Botenmeiſterin derſelben war Viktors gluͤckli¬
chere Freundin — Agathe Lache wieder Leben, du
Unbefangne, in zwei Herzen, auf welche der Tod ſeinen
langen fliegenden Schatten geworfen! Sie fiel ver¬
traut in zwei freundſchaftliche Arme; aber gegen ih¬
ren Bruder Doktor, der ſo lange ſtatt des ganzen
Rumpfs nur ſeine Hand d. h. ſeine Briefe nach St.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/263>, abgerufen am 17.05.2024.
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