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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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er konnte da nichts lieben, weder die Fürstin, die
immer da war, noch Schleunes ehelose Töchter, die
noch wider sein Gelübde waren.

Nachts um 12 Uhr hätte Zeusel gern noch dar¬
hinterkommen wollen, wie alles wäre und brachte
dem Leibmedikus seine Niece Marie als Soubrette
und Lakaiin zugeführet. Der Medikus, der keinen
Narren in der Welt zum Narren haben konnte, zu¬
mal unter vier Augen, steckte dem dünnen Hecht
die Raufe voll Wahrheits-Futter, das der begierig
herausfras wie Ananas. Marie war eine durch ei¬
nen Prozeß verarmte, durch eine Liebe verunglückte
Verwandte und Katholikin, die in der kalten höfi¬
schen Apothekers-Familie nichts empfieng und er¬
wartete als Stichwunden der Worte und Schußwun¬
den der Blicke -- ihre aufgelöste und erquetschte
Seele glich der Bruchweide, der man alle Zweige
rückwärts mit der blossen Hand herunterstreichen
kann -- sie fühlte bei keiner Demüthigung einen
Schmerz mehr -- sie schien vor andern zu krie¬
chen
, aber sie lag ja immerfort niedergebreitet
auf den Boden. -- -- Der sanfte Viktor, als er
diese demüthige, seitwärtsgekehrte Gestalt, über die
so viele Thränen gegangen waren und dieses sonst
schöne Gesicht erblickte, auf welches nicht Leiden der
Phantasie ihre magische Tusche aufgetragen, sondern
physische Schmerzen ihre Giftblasen ausgeschüttet

er konnte da nichts lieben, weder die Fuͤrſtin, die
immer da war, noch Schleunes eheloſe Toͤchter, die
noch wider ſein Geluͤbde waren.

Nachts um 12 Uhr haͤtte Zeuſel gern noch dar¬
hinterkommen wollen, wie alles waͤre und brachte
dem Leibmedikus ſeine Niece Marie als Soubrette
und Lakaiin zugefuͤhret. Der Medikus, der keinen
Narren in der Welt zum Narren haben konnte, zu¬
mal unter vier Augen, ſteckte dem duͤnnen Hecht
die Raufe voll Wahrheits-Futter, das der begierig
herausfras wie Ananas. Marie war eine durch ei¬
nen Prozeß verarmte, durch eine Liebe verungluͤckte
Verwandte und Katholikin, die in der kalten hoͤfi¬
ſchen Apothekers-Familie nichts empfieng und er¬
wartete als Stichwunden der Worte und Schußwun¬
den der Blicke — ihre aufgeloͤſte und erquetſchte
Seele glich der Bruchweide, der man alle Zweige
ruͤckwaͤrts mit der bloſſen Hand herunterſtreichen
kann — ſie fuͤhlte bei keiner Demuͤthigung einen
Schmerz mehr — ſie ſchien vor andern zu krie¬
chen
, aber ſie lag ja immerfort niedergebreitet
auf den Boden. — — Der ſanfte Viktor, als er
dieſe demuͤthige, ſeitwaͤrtsgekehrte Geſtalt, uͤber die
ſo viele Thraͤnen gegangen waren und dieſes ſonſt
ſchoͤne Geſicht erblickte, auf welches nicht Leiden der
Phantaſie ihre magiſche Tuſche aufgetragen, ſondern
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[15/0025] er konnte da nichts lieben, weder die Fuͤrſtin, die immer da war, noch Schleunes eheloſe Toͤchter, die noch wider ſein Geluͤbde waren. Nachts um 12 Uhr haͤtte Zeuſel gern noch dar¬ hinterkommen wollen, wie alles waͤre und brachte dem Leibmedikus ſeine Niece Marie als Soubrette und Lakaiin zugefuͤhret. Der Medikus, der keinen Narren in der Welt zum Narren haben konnte, zu¬ mal unter vier Augen, ſteckte dem duͤnnen Hecht die Raufe voll Wahrheits-Futter, das der begierig herausfras wie Ananas. Marie war eine durch ei¬ nen Prozeß verarmte, durch eine Liebe verungluͤckte Verwandte und Katholikin, die in der kalten hoͤfi¬ ſchen Apothekers-Familie nichts empfieng und er¬ wartete als Stichwunden der Worte und Schußwun¬ den der Blicke — ihre aufgeloͤſte und erquetſchte Seele glich der Bruchweide, der man alle Zweige ruͤckwaͤrts mit der bloſſen Hand herunterſtreichen kann — ſie fuͤhlte bei keiner Demuͤthigung einen Schmerz mehr — ſie ſchien vor andern zu krie¬ chen, aber ſie lag ja immerfort niedergebreitet auf den Boden. — — Der ſanfte Viktor, als er dieſe demuͤthige, ſeitwaͤrtsgekehrte Geſtalt, uͤber die ſo viele Thraͤnen gegangen waren und dieſes ſonſt ſchoͤne Geſicht erblickte, auf welches nicht Leiden der Phantaſie ihre magiſche Tuſche aufgetragen, ſondern phyſiſche Schmerzen ihre Giftblaſen ausgeſchuͤttet

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/25>, abgerufen am 21.11.2024.