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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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liebte die bitterste ungerechteste Satire im fremden
Munde, als Kunstwerk; er verzieh alles und blieb
heiter.

Joachime sagte dann scherzhaft: "wenn also keine
"Manier der Liebe etwas taugt, wie Sie beide be¬
"wiesen haben, so bleibt uns nichts übrig als zu
"hassen." -- Doch nicht (sagt' er:) Ihr Herr Bru¬
der hat nur kein wahres Wort gesagt. Stellen
Sie sich vor, ich wäre der Armenkatechet und ver¬
liebt -- In die zweite Tochter des Pastor primarius
bin ichs -- ihre Rolle ist die einer Hörschwester:
denn die bürgerlichen Mädgen wissen nicht zu reden,
wenigstens mehr in Haß als in der Liebe -- Der
Armenkatechet hat wenig bel esprit, aber viel saint
esprit
, viel Ehrlichkeit, viel Treue, zu viel Weich¬
herzigkeit und unendliche Liebe -- Der Katechet
kann keine galante Intrigue anspinnen auf einige
Wochen oder Monate, noch weniger kann er die
zweite Pastorstochter in die Liebe hineindisputiren,
wie ein roue -- er schweigt, um zu hoffen, aber mit
einem Herzen voll ewiger Liebe, voll opfernder Wün¬
sche begleitet er zagend und still alle Schritte der
Geliebten und -- Liebenden -- aber sie erräth ihn
nicht und er sie nicht. Und dann stirbt sie. . .
Aber vorher eh sie stirbt, tritt der bleiche Katechet
trostlos vor ihr Abschiedslager und drückt die zit¬
ternde Hand, eh' sie erschlafft und giebt dem kalten

liebte die bitterſte ungerechteſte Satire im fremden
Munde, als Kunſtwerk; er verzieh alles und blieb
heiter.

Joachime ſagte dann ſcherzhaft: »wenn alſo keine
»Manier der Liebe etwas taugt, wie Sie beide be¬
»wieſen haben, ſo bleibt uns nichts uͤbrig als zu
»haſſen.« — Doch nicht (ſagt' er:) Ihr Herr Bru¬
der hat nur kein wahres Wort geſagt. Stellen
Sie ſich vor, ich waͤre der Armenkatechet und ver¬
liebt — In die zweite Tochter des Paſtor primarius
bin ichs — ihre Rolle iſt die einer Hoͤrſchweſter:
denn die buͤrgerlichen Maͤdgen wiſſen nicht zu reden,
wenigſtens mehr in Haß als in der Liebe — Der
Armenkatechet hat wenig bel esprit, aber viel saint
esprit
, viel Ehrlichkeit, viel Treue, zu viel Weich¬
herzigkeit und unendliche Liebe — Der Katechet
kann keine galante Intrigue anſpinnen auf einige
Wochen oder Monate, noch weniger kann er die
zweite Paſtorstochter in die Liebe hineindiſputiren,
wie ein roué — er ſchweigt, um zu hoffen, aber mit
einem Herzen voll ewiger Liebe, voll opfernder Wuͤn¬
ſche begleitet er zagend und ſtill alle Schritte der
Geliebten und — Liebenden — aber ſie erraͤth ihn
nicht und er ſie nicht. Und dann ſtirbt ſie. . .
Aber vorher eh ſie ſtirbt, tritt der bleiche Katechet
troſtlos vor ihr Abſchiedslager und druͤckt die zit¬
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[229/0239] liebte die bitterſte ungerechteſte Satire im fremden Munde, als Kunſtwerk; er verzieh alles und blieb heiter. Joachime ſagte dann ſcherzhaft: »wenn alſo keine »Manier der Liebe etwas taugt, wie Sie beide be¬ »wieſen haben, ſo bleibt uns nichts uͤbrig als zu »haſſen.« — Doch nicht (ſagt' er:) Ihr Herr Bru¬ der hat nur kein wahres Wort geſagt. Stellen Sie ſich vor, ich waͤre der Armenkatechet und ver¬ liebt — In die zweite Tochter des Paſtor primarius bin ichs — ihre Rolle iſt die einer Hoͤrſchweſter: denn die buͤrgerlichen Maͤdgen wiſſen nicht zu reden, wenigſtens mehr in Haß als in der Liebe — Der Armenkatechet hat wenig bel esprit, aber viel saint esprit, viel Ehrlichkeit, viel Treue, zu viel Weich¬ herzigkeit und unendliche Liebe — Der Katechet kann keine galante Intrigue anſpinnen auf einige Wochen oder Monate, noch weniger kann er die zweite Paſtorstochter in die Liebe hineindiſputiren, wie ein roué — er ſchweigt, um zu hoffen, aber mit einem Herzen voll ewiger Liebe, voll opfernder Wuͤn¬ ſche begleitet er zagend und ſtill alle Schritte der Geliebten und — Liebenden — aber ſie erraͤth ihn nicht und er ſie nicht. Und dann ſtirbt ſie. . . Aber vorher eh ſie ſtirbt, tritt der bleiche Katechet troſtlos vor ihr Abſchiedslager und druͤckt die zit¬ ternde Hand, eh' ſie erſchlafft und giebt dem kalten

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/239>, abgerufen am 21.11.2024.