"Seele für eine Perle, deren Körper-Muschel geöf¬ net in der auflösenden Sonne liegt, damit sich die Perle früher scheide. -- Beim Abschiede konnt' er ihr mit der Freimüthigkeit des Freundes, die an die Stelle der Zurückhaltung des Liebhabers gekommen war, die Wiederholung seiner Besuche anbieten. Ueberhaupt behandelte er sie jetzt wärmer und unbe¬ fangner, erstlich weil er auf ihr erhabnes Herz so ganz Verzicht gethan, daß er sich über seine kühnen Ansprüche darauf jetzt wunderte, zweitens weil ihm das Gefühl seiner uneigennützigen aufopfernden Recht¬ schaffenheit gegen sie Wundbalsam auf seine bisher rige Gewissensbisse goß.
An diese Kränklichkeit schloß sich ein Abend oder eine Ereigniß an, woraus der Leser glaub' ich nicht gescheut werden wird. -- Viktor sollte Abends Jo¬ achimen ins Schauspiel abholen, und ihr Bruder mußte vorher ihn abholen. Ich hab' es schon zwei¬ mal niedergeschrieben, daß ihm seit einigen Wochen Matthieu nicht mehr so zuwider war wie einem Ele¬ phanten eine Maus: der Medikus hatte doch eine einzige gute Seite, doch einigen moralischen Gold¬ glimmer an ihm ausgegraben, nämlich die größte Anhänglichkeit an seine Schwester Joachime, die allein sein ganzes seinen Eltern zugeschlossenes Herz, seine Mysterien und seine Dienste innen hatte -- zweitens liebte er an Mazen, was der Minister ver¬
damm¬
»Seele fuͤr eine Perle, deren Koͤrper-Muſchel geoͤf¬ net in der aufloͤſenden Sonne liegt, damit ſich die Perle fruͤher ſcheide. — Beim Abſchiede konnt' er ihr mit der Freimuͤthigkeit des Freundes, die an die Stelle der Zuruͤckhaltung des Liebhabers gekommen war, die Wiederholung ſeiner Beſuche anbieten. Ueberhaupt behandelte er ſie jetzt waͤrmer und unbe¬ fangner, erſtlich weil er auf ihr erhabnes Herz ſo ganz Verzicht gethan, daß er ſich uͤber ſeine kuͤhnen Anſpruͤche darauf jetzt wunderte, zweitens weil ihm das Gefuͤhl ſeiner uneigennuͤtzigen aufopfernden Recht¬ ſchaffenheit gegen ſie Wundbalſam auf ſeine bisher rige Gewiſſensbiſſe goß.
An dieſe Kraͤnklichkeit ſchloß ſich ein Abend oder eine Ereigniß an, woraus der Leſer glaub' ich nicht geſcheut werden wird. — Viktor ſollte Abends Jo¬ achimen ins Schauſpiel abholen, und ihr Bruder mußte vorher ihn abholen. Ich hab' es ſchon zwei¬ mal niedergeſchrieben, daß ihm ſeit einigen Wochen Matthieu nicht mehr ſo zuwider war wie einem Ele¬ phanten eine Maus: der Medikus hatte doch eine einzige gute Seite, doch einigen moraliſchen Gold¬ glimmer an ihm ausgegraben, naͤmlich die groͤßte Anhaͤnglichkeit an ſeine Schweſter Joachime, die allein ſein ganzes ſeinen Eltern zugeſchloſſenes Herz, ſeine Myſterien und ſeine Dienſte innen hatte — zweitens liebte er an Mazen, was der Miniſter ver¬
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»Seele fuͤr eine Perle, deren Koͤrper-Muſchel geoͤf¬
net in der aufloͤſenden Sonne liegt, damit ſich die
Perle fruͤher ſcheide. — Beim Abſchiede konnt' er
ihr mit der Freimuͤthigkeit des Freundes, die an die
Stelle der Zuruͤckhaltung des Liebhabers gekommen
war, die Wiederholung ſeiner Beſuche anbieten.
Ueberhaupt behandelte er ſie jetzt waͤrmer und unbe¬
fangner, erſtlich weil er auf ihr erhabnes Herz ſo
ganz Verzicht gethan, daß er ſich uͤber ſeine kuͤhnen
Anſpruͤche darauf jetzt wunderte, zweitens weil ihm
das Gefuͤhl ſeiner uneigennuͤtzigen aufopfernden Recht¬
ſchaffenheit gegen ſie Wundbalſam auf ſeine bisher
rige Gewiſſensbiſſe goß.
An dieſe Kraͤnklichkeit ſchloß ſich ein Abend oder
eine Ereigniß an, woraus der Leſer glaub' ich nicht
geſcheut werden wird. — Viktor ſollte Abends Jo¬
achimen ins Schauſpiel abholen, und ihr Bruder
mußte vorher ihn abholen. Ich hab' es ſchon zwei¬
mal niedergeſchrieben, daß ihm ſeit einigen Wochen
Matthieu nicht mehr ſo zuwider war wie einem Ele¬
phanten eine Maus: der Medikus hatte doch eine
einzige gute Seite, doch einigen moraliſchen Gold¬
glimmer an ihm ausgegraben, naͤmlich die groͤßte
Anhaͤnglichkeit an ſeine Schweſter Joachime, die
allein ſein ganzes ſeinen Eltern zugeſchloſſenes Herz,
ſeine Myſterien und ſeine Dienſte innen hatte —
zweitens liebte er an Mazen, was der Miniſter ver¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/234>, abgerufen am 16.02.2025.
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