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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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rem Bruder übermaaß: so quollen ihre großen so
oft am Himmel hängenden Augen voll und ein
schnelles Niederbücken verdeckte die schwesterliche Thrä¬
ne allen ungerührten Augen. Aber den gerührten,
womit ihr naher Freund sie nachahmte, wurde sie
nicht entzogen. . . . Und hier sagte eine tugendhafte
Stimme in Viktor: "entdeck' ihr, daß du das Ge¬
"heimniß ihrer Verwandwandschaft weißt -- hebe
"von diesem wundgepreßten Herzen die Last des
"Schweigens ab -- vielleicht welkt sie an einem
"Gram, den ein Vertrauter kühlt und nimmt!" --
Ach, dieser Stimme zu gehorchen, war ja das We¬
nigste, womit er sein unendliches Mitleiden befriedi¬
gen konnte! -- Er sagte äußerst leise und aus Rüh¬
rung fast unverständlich zu ihr: "mein Vater hat es
"mir längst entdeckt, daß Iphigenie die Gegenwart
"ihres Bruders und meines Freundes weiß" --
Klotilde wandte sich schnell und erröthend gegen
ihn -- er ließ, zur nähern Erklärung, seinen Blick
zu Flamin hinabgleiten -- erblassend sah sie weg und
sagte nichts -- aber unter dem ganzen Schauspiel
schien ihr Herz weit mehr zusammengedrückt zu seyn
und die Gute mußte jetzt noch mehr Thränen und
Seufzer zerquetschen als zuvor. Ganz zuletzt gab sie
mitten in ihrer Betrübniß der Dankbarkeit ihre
Rechte und sagte ihm für seine Theilnahme und sein
Vertrauen, gleichsam im Sterben lächelnd, Dank.

rem Bruder uͤbermaaß: ſo quollen ihre großen ſo
oft am Himmel haͤngenden Augen voll und ein
ſchnelles Niederbuͤcken verdeckte die ſchweſterliche Thraͤ¬
ne allen ungeruͤhrten Augen. Aber den geruͤhrten,
womit ihr naher Freund ſie nachahmte, wurde ſie
nicht entzogen. . . . Und hier ſagte eine tugendhafte
Stimme in Viktor: »entdeck' ihr, daß du das Ge¬
»heimniß ihrer Verwandwandſchaft weißt — hebe
»von dieſem wundgepreßten Herzen die Laſt des
»Schweigens ab — vielleicht welkt ſie an einem
»Gram, den ein Vertrauter kuͤhlt und nimmt!« —
Ach, dieſer Stimme zu gehorchen, war ja das We¬
nigſte, womit er ſein unendliches Mitleiden befriedi¬
gen konnte! — Er ſagte aͤußerſt leiſe und aus Ruͤh¬
rung faſt unverſtaͤndlich zu ihr: »mein Vater hat es
»mir laͤngſt entdeckt, daß Iphigenie die Gegenwart
»ihres Bruders und meines Freundes weiß« —
Klotilde wandte ſich ſchnell und erroͤthend gegen
ihn — er ließ, zur naͤhern Erklaͤrung, ſeinen Blick
zu Flamin hinabgleiten — erblaſſend ſah ſie weg und
ſagte nichts — aber unter dem ganzen Schauſpiel
ſchien ihr Herz weit mehr zuſammengedruͤckt zu ſeyn
und die Gute mußte jetzt noch mehr Thraͤnen und
Seufzer zerquetſchen als zuvor. Ganz zuletzt gab ſie
mitten in ihrer Betruͤbniß der Dankbarkeit ihre
Rechte und ſagte ihm fuͤr ſeine Theilnahme und ſein
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[218/0228] rem Bruder uͤbermaaß: ſo quollen ihre großen ſo oft am Himmel haͤngenden Augen voll und ein ſchnelles Niederbuͤcken verdeckte die ſchweſterliche Thraͤ¬ ne allen ungeruͤhrten Augen. Aber den geruͤhrten, womit ihr naher Freund ſie nachahmte, wurde ſie nicht entzogen. . . . Und hier ſagte eine tugendhafte Stimme in Viktor: »entdeck' ihr, daß du das Ge¬ »heimniß ihrer Verwandwandſchaft weißt — hebe »von dieſem wundgepreßten Herzen die Laſt des »Schweigens ab — vielleicht welkt ſie an einem »Gram, den ein Vertrauter kuͤhlt und nimmt!« — Ach, dieſer Stimme zu gehorchen, war ja das We¬ nigſte, womit er ſein unendliches Mitleiden befriedi¬ gen konnte! — Er ſagte aͤußerſt leiſe und aus Ruͤh¬ rung faſt unverſtaͤndlich zu ihr: »mein Vater hat es »mir laͤngſt entdeckt, daß Iphigenie die Gegenwart »ihres Bruders und meines Freundes weiß« — Klotilde wandte ſich ſchnell und erroͤthend gegen ihn — er ließ, zur naͤhern Erklaͤrung, ſeinen Blick zu Flamin hinabgleiten — erblaſſend ſah ſie weg und ſagte nichts — aber unter dem ganzen Schauſpiel ſchien ihr Herz weit mehr zuſammengedruͤckt zu ſeyn und die Gute mußte jetzt noch mehr Thraͤnen und Seufzer zerquetſchen als zuvor. Ganz zuletzt gab ſie mitten in ihrer Betruͤbniß der Dankbarkeit ihre Rechte und ſagte ihm fuͤr ſeine Theilnahme und ſein Vertrauen, gleichſam im Sterben laͤchelnd, Dank.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/228>, abgerufen am 21.11.2024.