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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Zu Hause machte er seine Gehirnfiebern zu Aria¬
dnes Fäden, um aus dem Labyrinth der Ursachen ih¬
res Kummers und besonders des neuen zu kommen,
der sie bei seiner Eröfnung zu befallen geschienen.
Aber er blieb im Labyrinth: freilich erzeugte Gram
die Krankheit; aber wer erzeugte den Gram? -- Es
wäre schlimm für diese armen zarten Schmetterlinge
wenn es mehr als Einen tödlichen Kummer gäbe:
in jeder Gasse, in jedem Hause findest du eine Frau
oder eine Tochter, die in die Kirche oder ins Trau¬
erspiel gehen muß, um zu seufzen und die ins obere
Stockwerk steigen muß, um zu weinen; aber dieser
aufgehäufte Kummer wird lächelnd verschmerzt und
die Jahre nehmen lange neben den Thränen zu.
Hingegen einen giebt's, der sie abbricht -- denke
daran, lieber Viktor, in den freudigen Stunden dei¬
ner Simultanliebe, und denket ihr alle daran, die
ihr einem solchen weichen Geschöpf das schlagende
Herz aus der Brust mit warmen liebenden Händen
ziehet, um es in eure neben eurem eignen Herzen
aufzunehmen und ewig zu erwärmen -- wenn ihr
dann dieses heisse Herz, wie einen Schmetterlings¬
honigrüssel, ausgerissen hinwerfet: so zuckt es noch
wie dieser fort, aber es erkaltet dann und schlägt
nicht lange mehr. -- --

Unglückliche Liebe war also der nagende Honig¬
thau auf dieser Blume, schloß Sebastian. Natürlich

Zu Hauſe machte er ſeine Gehirnfiebern zu Aria¬
dnes Faͤden, um aus dem Labyrinth der Urſachen ih¬
res Kummers und beſonders des neuen zu kommen,
der ſie bei ſeiner Eroͤfnung zu befallen geſchienen.
Aber er blieb im Labyrinth: freilich erzeugte Gram
die Krankheit; aber wer erzeugte den Gram? — Es
waͤre ſchlimm fuͤr dieſe armen zarten Schmetterlinge
wenn es mehr als Einen toͤdlichen Kummer gaͤbe:
in jeder Gaſſe, in jedem Hauſe findeſt du eine Frau
oder eine Tochter, die in die Kirche oder ins Trau¬
erſpiel gehen muß, um zu ſeufzen und die ins obere
Stockwerk ſteigen muß, um zu weinen; aber dieſer
aufgehaͤufte Kummer wird laͤchelnd verſchmerzt und
die Jahre nehmen lange neben den Thraͤnen zu.
Hingegen einen giebt's, der ſie abbricht — denke
daran, lieber Viktor, in den freudigen Stunden dei¬
ner Simultanliebe‚ und denket ihr alle daran, die
ihr einem ſolchen weichen Geſchoͤpf das ſchlagende
Herz aus der Bruſt mit warmen liebenden Haͤnden
ziehet, um es in eure neben eurem eignen Herzen
aufzunehmen und ewig zu erwaͤrmen — wenn ihr
dann dieſes heiſſe Herz, wie einen Schmetterlings¬
honigruͤſſel, ausgeriſſen hinwerfet: ſo zuckt es noch
wie dieſer fort, aber es erkaltet dann und ſchlaͤgt
nicht lange mehr. — —

Ungluͤckliche Liebe war alſo der nagende Honig¬
thau auf dieſer Blume, ſchloß Sebaſtian. Natuͤrlich

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[219/0229] Zu Hauſe machte er ſeine Gehirnfiebern zu Aria¬ dnes Faͤden, um aus dem Labyrinth der Urſachen ih¬ res Kummers und beſonders des neuen zu kommen, der ſie bei ſeiner Eroͤfnung zu befallen geſchienen. Aber er blieb im Labyrinth: freilich erzeugte Gram die Krankheit; aber wer erzeugte den Gram? — Es waͤre ſchlimm fuͤr dieſe armen zarten Schmetterlinge wenn es mehr als Einen toͤdlichen Kummer gaͤbe: in jeder Gaſſe, in jedem Hauſe findeſt du eine Frau oder eine Tochter, die in die Kirche oder ins Trau¬ erſpiel gehen muß, um zu ſeufzen und die ins obere Stockwerk ſteigen muß, um zu weinen; aber dieſer aufgehaͤufte Kummer wird laͤchelnd verſchmerzt und die Jahre nehmen lange neben den Thraͤnen zu. Hingegen einen giebt's, der ſie abbricht — denke daran, lieber Viktor, in den freudigen Stunden dei¬ ner Simultanliebe‚ und denket ihr alle daran, die ihr einem ſolchen weichen Geſchoͤpf das ſchlagende Herz aus der Bruſt mit warmen liebenden Haͤnden ziehet, um es in eure neben eurem eignen Herzen aufzunehmen und ewig zu erwaͤrmen — wenn ihr dann dieſes heiſſe Herz, wie einen Schmetterlings¬ honigruͤſſel, ausgeriſſen hinwerfet: ſo zuckt es noch wie dieſer fort, aber es erkaltet dann und ſchlaͤgt nicht lange mehr. — — Ungluͤckliche Liebe war alſo der nagende Honig¬ thau auf dieſer Blume, ſchloß Sebaſtian. Natuͤrlich

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/229>, abgerufen am 21.11.2024.