Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

er die kranke Klotilde wieder mit dem Abendroth
der Schminke sah, worin sie auf fremdes Geheiß so¬
gar unter dem Untergehen schimmern sollte -- da er
dieses stille zum Altar gleichsam roth bezeichnete
Opfer, das er und andere von seinen Fluren, von
seinen einsamen Blumen weggetrieben unter die
Opfermesser der Kurial-Guillotine, den Untergang
seiner Wünsche stumm erdulden sah und da er mit
dem weiblichen Verstummen das männliche Toben
verglich -- und da Klotilde ihren Schmerz der Iphi¬
genie geliehen zu haben schien mit der Bitte:
"nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage
"damit, klage damit über die Entfernung von den
"Jugendgefilden, über die Entfernung vom geliebten
"Bruder" -- und da er sah wie Klotilde die Au¬
gen fester an die Iphigenie, wenn sie nach dem ver¬
lornen Bruder schmachtete, anzuschließen suchte, um
die Ergießung und die Richtung derselben (nach ih¬
rem eignen auf dem Parterre nach Flamin,) zu be¬
herrschen: o dann brauchten so große Schmerzen und
so viele Zeichen derselben in seinen Augen und Mi¬
nen einen solchen Vorwand wie die Allmacht des
Genies ist, um mit Schmerzen der Täuschung ver¬
wechselt zu werden.

Nie hat ein Arzt seine Klientin mit größerer
Theilnahme und Schonung ausgefragt als er Klotil¬
den im nächsten Zwischenakte: er entschuldigte seine

er die kranke Klotilde wieder mit dem Abendroth
der Schminke ſah, worin ſie auf fremdes Geheiß ſo¬
gar unter dem Untergehen ſchimmern ſollte — da er
dieſes ſtille zum Altar gleichſam roth bezeichnete
Opfer, das er und andere von ſeinen Fluren, von
ſeinen einſamen Blumen weggetrieben unter die
Opfermeſſer der Kurial-Guillotine, den Untergang
ſeiner Wuͤnſche ſtumm erdulden ſah und da er mit
dem weiblichen Verſtummen das maͤnnliche Toben
verglich — und da Klotilde ihren Schmerz der Iphi¬
genie geliehen zu haben ſchien mit der Bitte:
»nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage
»damit, klage damit uͤber die Entfernung von den
»Jugendgefilden, uͤber die Entfernung vom geliebten
»Bruder« — und da er ſah wie Klotilde die Au¬
gen feſter an die Iphigenie, wenn ſie nach dem ver¬
lornen Bruder ſchmachtete, anzuſchließen ſuchte, um
die Ergießung und die Richtung derſelben (nach ih¬
rem eignen auf dem Parterre nach Flamin,) zu be¬
herrſchen: o dann brauchten ſo große Schmerzen und
ſo viele Zeichen derſelben in ſeinen Augen und Mi¬
nen einen ſolchen Vorwand wie die Allmacht des
Genies iſt, um mit Schmerzen der Taͤuſchung ver¬
wechſelt zu werden.

Nie hat ein Arzt ſeine Klientin mit groͤßerer
Theilnahme und Schonung ausgefragt als er Klotil¬
den im naͤchſten Zwiſchenakte: er entſchuldigte ſeine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0223" n="213"/>
er die kranke Klotilde wieder mit dem Abendroth<lb/>
der Schminke &#x017F;ah, worin &#x017F;ie auf fremdes Geheiß &#x017F;<lb/>
gar unter dem Untergehen &#x017F;chimmern &#x017F;ollte &#x2014; da er<lb/>
die&#x017F;es &#x017F;tille zum Altar gleich&#x017F;am roth bezeichnete<lb/>
Opfer, das er und andere von &#x017F;einen Fluren, von<lb/>
&#x017F;einen ein&#x017F;amen Blumen weggetrieben unter die<lb/>
Opferme&#x017F;&#x017F;er der Kurial-Guillotine, den Untergang<lb/>
&#x017F;einer Wu&#x0364;n&#x017F;che &#x017F;tumm erdulden &#x017F;ah und da er mit<lb/>
dem weiblichen Ver&#x017F;tummen das ma&#x0364;nnliche Toben<lb/>
verglich &#x2014; und da Klotilde ihren Schmerz der Iphi¬<lb/>
genie geliehen zu haben &#x017F;chien mit der Bitte:<lb/>
»nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage<lb/>
»damit, klage damit u&#x0364;ber die Entfernung von den<lb/>
»Jugendgefilden, u&#x0364;ber die Entfernung vom geliebten<lb/>
»Bruder« &#x2014; und da er &#x017F;ah wie Klotilde die Au¬<lb/>
gen fe&#x017F;ter an die Iphigenie, wenn &#x017F;ie nach dem ver¬<lb/>
lornen Bruder &#x017F;chmachtete, anzu&#x017F;chließen &#x017F;uchte, um<lb/>
die Ergießung und die Richtung der&#x017F;elben (nach ih¬<lb/>
rem eignen auf dem Parterre nach Flamin,) zu be¬<lb/>
herr&#x017F;chen: o dann brauchten &#x017F;o große Schmerzen und<lb/>
&#x017F;o viele Zeichen der&#x017F;elben in &#x017F;einen Augen und Mi¬<lb/>
nen einen &#x017F;olchen Vorwand wie die Allmacht des<lb/>
Genies i&#x017F;t, um mit Schmerzen der Ta&#x0364;u&#x017F;chung ver¬<lb/>
wech&#x017F;elt zu werden.</p><lb/>
          <p>Nie hat ein Arzt &#x017F;eine Klientin mit gro&#x0364;ßerer<lb/>
Theilnahme und Schonung ausgefragt als er Klotil¬<lb/>
den im na&#x0364;ch&#x017F;ten Zwi&#x017F;chenakte: er ent&#x017F;chuldigte &#x017F;eine<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0223] er die kranke Klotilde wieder mit dem Abendroth der Schminke ſah, worin ſie auf fremdes Geheiß ſo¬ gar unter dem Untergehen ſchimmern ſollte — da er dieſes ſtille zum Altar gleichſam roth bezeichnete Opfer, das er und andere von ſeinen Fluren, von ſeinen einſamen Blumen weggetrieben unter die Opfermeſſer der Kurial-Guillotine, den Untergang ſeiner Wuͤnſche ſtumm erdulden ſah und da er mit dem weiblichen Verſtummen das maͤnnliche Toben verglich — und da Klotilde ihren Schmerz der Iphi¬ genie geliehen zu haben ſchien mit der Bitte: »nimm mein Herz, nimm meine Stimme und klage »damit, klage damit uͤber die Entfernung von den »Jugendgefilden, uͤber die Entfernung vom geliebten »Bruder« — und da er ſah wie Klotilde die Au¬ gen feſter an die Iphigenie, wenn ſie nach dem ver¬ lornen Bruder ſchmachtete, anzuſchließen ſuchte, um die Ergießung und die Richtung derſelben (nach ih¬ rem eignen auf dem Parterre nach Flamin,) zu be¬ herrſchen: o dann brauchten ſo große Schmerzen und ſo viele Zeichen derſelben in ſeinen Augen und Mi¬ nen einen ſolchen Vorwand wie die Allmacht des Genies iſt, um mit Schmerzen der Taͤuſchung ver¬ wechſelt zu werden. Nie hat ein Arzt ſeine Klientin mit groͤßerer Theilnahme und Schonung ausgefragt als er Klotil¬ den im naͤchſten Zwiſchenakte: er entſchuldigte ſeine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/223
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/223>, abgerufen am 08.05.2024.