kennt man die Bewegungen, die der Schlaf, diese Meerstille des Lebens, bei ihm stillen mußte. --
"Das war der letzte Fieberschauer" sagt' er am andern Morgen und bauete auf sein jetziges Herz, dessen Entzündungen wie die der Vulkane täglich ih¬ ren Krater mehr ausbrannten. Er gebot sich daher eine wöchentliche Flucht vor der schönsten Seele, in¬ dem er eine so lange Krankheit vorschützte, bis er ei¬ nen ordentlichen Kallus über sein Herz gezogen fühlte. --
Nach einer Woche sah' er sie wieder: warlich der Teufel saß wieder am Spieltisch und spielte ge¬ gen ihn eine andere Farbe aus -- Roth. Klotilde sah nicht blaß, sondern obwohl wenig, roth aus. Dieses Roth machte an seinem innern Menschen ei¬ nen großen Kleks und verfälschte sein inneres Kolo¬ rit wie Schwarz jede Malerfarbe. Denn als er sie genesen wiederfand: so wars ihm nicht sowol an¬ genehm -- denn er sah wie wenige Verdienste er mehr um ihre Ruhe habe, wie sie ihn nicht einmal in diesem Waarenlager von Menschen-Makulatur aushebe und wie dumm er gewesen, daß er sich heim¬ lich, ganz heimlich träumen lassen, "ihre vorige Bleichheit komme gar von ihrer vergeblichen Sehn¬ sucht nach ihm seines Orts her" -- oder unange¬ nehm -- denn er hätte all sein Herzensblut dahin gegossen, um damit eine einzige Pulsader in ihr wie¬
kennt man die Bewegungen, die der Schlaf, dieſe Meerſtille des Lebens, bei ihm ſtillen mußte. —
»Das war der letzte Fieberſchauer« ſagt' er am andern Morgen und bauete auf ſein jetziges Herz, deſſen Entzuͤndungen wie die der Vulkane taͤglich ih¬ ren Krater mehr ausbrannten. Er gebot ſich daher eine woͤchentliche Flucht vor der ſchoͤnſten Seele, in¬ dem er eine ſo lange Krankheit vorſchuͤtzte, bis er ei¬ nen ordentlichen Kallus uͤber ſein Herz gezogen fuͤhlte. —
Nach einer Woche ſah' er ſie wieder: warlich der Teufel ſaß wieder am Spieltiſch und ſpielte ge¬ gen ihn eine andere Farbe aus — Roth. Klotilde ſah nicht blaß, ſondern obwohl wenig, roth aus. Dieſes Roth machte an ſeinem innern Menſchen ei¬ nen großen Kleks und verfaͤlſchte ſein inneres Kolo¬ rit wie Schwarz jede Malerfarbe. Denn als er ſie geneſen wiederfand: ſo wars ihm nicht ſowol an¬ genehm — denn er ſah wie wenige Verdienſte er mehr um ihre Ruhe habe, wie ſie ihn nicht einmal in dieſem Waarenlager von Menſchen-Makulatur aushebe und wie dumm er geweſen, daß er ſich heim¬ lich, ganz heimlich traͤumen laſſen, »ihre vorige Bleichheit komme gar von ihrer vergeblichen Sehn¬ ſucht nach ihm ſeines Orts her« — oder unange¬ nehm — denn er haͤtte all ſein Herzensblut dahin gegoſſen, um damit eine einzige Pulsader in ihr wie¬
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kennt man die Bewegungen, die der Schlaf, dieſe
Meerſtille des Lebens, bei ihm ſtillen mußte. —
»Das war der letzte Fieberſchauer« ſagt' er am
andern Morgen und bauete auf ſein jetziges Herz,
deſſen Entzuͤndungen wie die der Vulkane taͤglich ih¬
ren Krater mehr ausbrannten. Er gebot ſich daher
eine woͤchentliche Flucht vor der ſchoͤnſten Seele, in¬
dem er eine ſo lange Krankheit vorſchuͤtzte, bis er ei¬
nen ordentlichen Kallus uͤber ſein Herz gezogen
fuͤhlte. —
Nach einer Woche ſah' er ſie wieder: warlich
der Teufel ſaß wieder am Spieltiſch und ſpielte ge¬
gen ihn eine andere Farbe aus — Roth. Klotilde
ſah nicht blaß, ſondern obwohl wenig, roth aus.
Dieſes Roth machte an ſeinem innern Menſchen ei¬
nen großen Kleks und verfaͤlſchte ſein inneres Kolo¬
rit wie Schwarz jede Malerfarbe. Denn als er ſie
geneſen wiederfand: ſo wars ihm nicht ſowol an¬
genehm — denn er ſah wie wenige Verdienſte er
mehr um ihre Ruhe habe, wie ſie ihn nicht einmal
in dieſem Waarenlager von Menſchen-Makulatur
aushebe und wie dumm er geweſen, daß er ſich heim¬
lich, ganz heimlich traͤumen laſſen, »ihre vorige
Bleichheit komme gar von ihrer vergeblichen Sehn¬
ſucht nach ihm ſeines Orts her« — oder unange¬
nehm — denn er haͤtte all ſein Herzensblut dahin
gegoſſen, um damit eine einzige Pulsader in ihr wie¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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