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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Aber für heute war von solchem Erdbeben die
Struktur seines Herzens zu weit zerrissen. Und da
ihn Klotilde in einer isolirten Sekunde sagte: daß
die Pfarrerin und Agathe über sein Aussenbleiben
zürnten: so war er, da sich bei diesen Namen die
ganze bewölkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬
that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben.

Als er nach Hause kam: redete Klotildens Stim¬
me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigsten
vergessen konnte, unaufhörlich und wie das Echo ei¬
nes Trauergesangs in seiner Seele. .. Leser, wenn
das, was du liebtest, lange verschwunden ist aus der
Erde oder aus deiner Phantasie, so wird doch in
Trauerstunden die geliebte Stimme wieder kommen
und alle deine alten Thränen mitbringen und das
trostlose Herz, das sie vergossen hat! ... Aber
nicht bloß ihre Stimme, sondern alles drängte sich
im Finstern um seine Phantasie, ihr bescheidenes
Auge, das nicht hofmäßig blitzte und ertrotzte und
suchte, wie der andern ihre: diese behutsame Feinheit,
die ihm jetzt seit seinem Hofleben weder an ihr noch
an seinem Vater mehr zu groß vorkam -- dazu setze
man noch das Bild Joachimens und sein Chaos von
Widersprüchen und die Bemerkung, daß ein Mensch,
den die gewissesten Beweise, ungeliebt zu seyn, beru¬
higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: so

Aber fuͤr heute war von ſolchem Erdbeben die
Struktur ſeines Herzens zu weit zerriſſen. Und da
ihn Klotilde in einer iſolirten Sekunde ſagte: daß
die Pfarrerin und Agathe uͤber ſein Auſſenbleiben
zuͤrnten: ſo war er, da ſich bei dieſen Namen die
ganze bewoͤlkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬
that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben.

Als er nach Hauſe kam: redete Klotildens Stim¬
me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigſten
vergeſſen konnte, unaufhoͤrlich und wie das Echo ei¬
nes Trauergeſangs in ſeiner Seele. .. Leſer, wenn
das, was du liebteſt, lange verſchwunden iſt aus der
Erde oder aus deiner Phantaſie, ſo wird doch in
Trauerſtunden die geliebte Stimme wieder kommen
und alle deine alten Thraͤnen mitbringen und das
troſtloſe Herz, das ſie vergoſſen hat! ... Aber
nicht bloß ihre Stimme, ſondern alles draͤngte ſich
im Finſtern um ſeine Phantaſie, ihr beſcheidenes
Auge, das nicht hofmaͤßig blitzte und ertrotzte und
ſuchte, wie der andern ihre: dieſe behutſame Feinheit,
die ihm jetzt ſeit ſeinem Hofleben weder an ihr noch
an ſeinem Vater mehr zu groß vorkam — dazu ſetze
man noch das Bild Joachimens und ſein Chaos von
Widerſpruͤchen und die Bemerkung, daß ein Menſch,
den die gewiſſeſten Beweiſe, ungeliebt zu ſeyn, beru¬
higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: ſo

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[197/0207] Aber fuͤr heute war von ſolchem Erdbeben die Struktur ſeines Herzens zu weit zerriſſen. Und da ihn Klotilde in einer iſolirten Sekunde ſagte: daß die Pfarrerin und Agathe uͤber ſein Auſſenbleiben zuͤrnten: ſo war er, da ſich bei dieſen Namen die ganze bewoͤlkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬ that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben. Als er nach Hauſe kam: redete Klotildens Stim¬ me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigſten vergeſſen konnte, unaufhoͤrlich und wie das Echo ei¬ nes Trauergeſangs in ſeiner Seele. .. Leſer, wenn das, was du liebteſt, lange verſchwunden iſt aus der Erde oder aus deiner Phantaſie, ſo wird doch in Trauerſtunden die geliebte Stimme wieder kommen und alle deine alten Thraͤnen mitbringen und das troſtloſe Herz, das ſie vergoſſen hat! ... Aber nicht bloß ihre Stimme, ſondern alles draͤngte ſich im Finſtern um ſeine Phantaſie, ihr beſcheidenes Auge, das nicht hofmaͤßig blitzte und ertrotzte und ſuchte, wie der andern ihre: dieſe behutſame Feinheit, die ihm jetzt ſeit ſeinem Hofleben weder an ihr noch an ſeinem Vater mehr zu groß vorkam — dazu ſetze man noch das Bild Joachimens und ſein Chaos von Widerſpruͤchen und die Bemerkung, daß ein Menſch, den die gewiſſeſten Beweiſe, ungeliebt zu ſeyn, beru¬ higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: ſo

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/207>, abgerufen am 09.05.2024.