"weder Philosophen noch Gelehrte lesen: es bliebe "mir (sie wollte sagen: ihrem Geschlechte) zu wenig, "wenn man mir die lieben Dichter nähme." -- Sie würden höchstens (sagte endlich der Minister) Ihre Schüler an ihnen finden: "Dichter bekümmern sich "wie die Heiligen wenig um die Welt und ihr Wis¬ "sen; sie können den Staat besingen, aber nicht be¬ "lehren." -- O du grinzende Mumie, dachte Viktor mit beklemmter Seele, ein Edelstein den du nicht "in's Stats Stockhaus mauern kannst, ist dir weni¬ ger als ein Sandstein: wenn du nur jede flammen¬ de, als eine Ergänzung der republikanischen Antiken dastehende Seele zu einem Unterskribenten, zu einem Zollkommissar oder Kammerfiskal einsetzen könntest, (wie die Großkairer die edeln Ruinen zu Ställen und Pferdetränken verbauen.) -- Der edle Maz fügte bloß hinzu: "in Rom war ein Maler der mit jedem "nur singend sprach; und ich kannte einen großen "Dichter, der nicht einmal im gemeinen Leben Prosa "konnte; er konnte aber mehreres nicht, und hatte "wenig Welt, aber viel Welten im Kopfe -- er "wird, wenn er sich drucken lässet, seinen Lesern "kaum mehrere Illusionen geben als ihm jeder schon "gemacht hat der wollte" -- Viktor sah aus Klotildens traurig gesenkten Auge daß sie so gut wie er merke, daß der Teufel ihren Dahore meine; aber er schwieg: seine Seele war traurig und erbittert;
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»weder Philoſophen noch Gelehrte leſen: es bliebe »mir (ſie wollte ſagen: ihrem Geſchlechte) zu wenig, »wenn man mir die lieben Dichter naͤhme.« — Sie wuͤrden hoͤchſtens (ſagte endlich der Miniſter) Ihre Schuͤler an ihnen finden: »Dichter bekuͤmmern ſich »wie die Heiligen wenig um die Welt und ihr Wiſ¬ »ſen; ſie koͤnnen den Staat beſingen, aber nicht be¬ »lehren.« — O du grinzende Mumie, dachte Viktor mit beklemmter Seele, ein Edelſtein den du nicht »in's Stats Stockhaus mauern kannſt, iſt dir weni¬ ger als ein Sandſtein: wenn du nur jede flammen¬ de, als eine Ergaͤnzung der republikaniſchen Antiken daſtehende Seele zu einem Unterſkribenten, zu einem Zollkommiſſar oder Kammerfiskal einſetzen koͤnnteſt, (wie die Großkairer die edeln Ruinen zu Staͤllen und Pferdetraͤnken verbauen.) — Der edle Maz fuͤgte bloß hinzu: »in Rom war ein Maler der mit jedem »nur ſingend ſprach; und ich kannte einen großen »Dichter, der nicht einmal im gemeinen Leben Proſa »konnte; er konnte aber mehreres nicht, und hatte »wenig Welt, aber viel Welten im Kopfe — er »wird, wenn er ſich drucken laͤſſet, ſeinen Leſern »kaum mehrere Illuſionen geben als ihm jeder ſchon »gemacht hat der wollte« — Viktor ſah aus Klotildens traurig geſenkten Auge daß ſie ſo gut wie er merke, daß der Teufel ihren Dahore meine; aber er ſchwieg: ſeine Seele war traurig und erbittert;
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»weder Philoſophen noch Gelehrte leſen: es bliebe
»mir (ſie wollte ſagen: ihrem Geſchlechte) zu wenig,
»wenn man mir die lieben Dichter naͤhme.« — Sie
wuͤrden hoͤchſtens (ſagte endlich der Miniſter) Ihre
Schuͤler an ihnen finden: »Dichter bekuͤmmern ſich
»wie die Heiligen wenig um die Welt und ihr Wiſ¬
»ſen; ſie koͤnnen den Staat beſingen, aber nicht be¬
»lehren.« — O du grinzende Mumie, dachte Viktor
mit beklemmter Seele, ein Edelſtein den du nicht
»in's Stats Stockhaus mauern kannſt, iſt dir weni¬
ger als ein Sandſtein: wenn du nur jede flammen¬
de, als eine Ergaͤnzung der republikaniſchen Antiken
daſtehende Seele zu einem Unterſkribenten, zu einem
Zollkommiſſar oder Kammerfiskal einſetzen koͤnnteſt,
(wie die Großkairer die edeln Ruinen zu Staͤllen und
Pferdetraͤnken verbauen.) — Der edle Maz fuͤgte
bloß hinzu: »in Rom war ein Maler der mit jedem
»nur ſingend ſprach; und ich kannte einen großen
»Dichter, der nicht einmal im gemeinen Leben Proſa
»konnte; er konnte aber mehreres nicht, und hatte
»wenig Welt, aber viel Welten im Kopfe — er
»wird, wenn er ſich drucken laͤſſet, ſeinen Leſern
»kaum mehrere Illuſionen geben als ihm jeder ſchon
»gemacht hat der wollte« — Viktor ſah aus
Klotildens traurig geſenkten Auge daß ſie ſo gut wie
er merke, daß der Teufel ihren Dahore meine; aber
er ſchwieg: ſeine Seele war traurig und erbittert;
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/205>, abgerufen am 16.02.2025.
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