laß darauf kein Spaß: sondern man kann, indem man eine Wunde macht, selber eine holen. Der arme Hofmedikus muß mit seinem schwimmenden freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die Thräne der Liebe abgetrocknet wurde, kühn in die in eine Augenhöle gesperrte Sonne schauen und noch obendrein sanft mit dem Finger am warmen Gesicht anliegen und aus der Quelle der Thränen helles Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine solche Operation unternähme, sollte man eine an sich voll¬ ziehen lassen -- der Kühlung wegen. Im Grunde hatte auch ihm das Schicksal diese Woche nichts ge¬ geben als Lanzetten-Schnitte in seine Aorte. Stel¬ let man sich noch vor, daß ihm das ganze weibliche Geschlecht wie eine magische weit zurückgewichne Ge¬ stalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an ihm geschimmert, als ein erblassender Mond am Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte: so hat man sich sein schönes schuldloses Herz geöf¬ net, um darin außer einem großen fortarbeitenden Schmerzen tausend sympathetische Wünsche für die bedauerte Fürstin zu erblicken. Trotz ihrer sonderba¬ ren Mischung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken, die er halb aus seiner heutigen Beflissenheit, halb aus seinem ihr bisher so günstigen Einfluß auf den Fürsten erklären konnte und die ihm einen größern
laß darauf kein Spaß: ſondern man kann, indem man eine Wunde macht, ſelber eine holen. Der arme Hofmedikus muß mit ſeinem ſchwimmenden freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die Thraͤne der Liebe abgetrocknet wurde, kuͤhn in die in eine Augenhoͤle geſperrte Sonne ſchauen und noch obendrein ſanft mit dem Finger am warmen Geſicht anliegen und aus der Quelle der Thraͤnen helles Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine ſolche Operation unternaͤhme, ſollte man eine an ſich voll¬ ziehen laſſen — der Kuͤhlung wegen. Im Grunde hatte auch ihm das Schickſal dieſe Woche nichts ge¬ geben als Lanzetten-Schnitte in ſeine Aorte. Stel¬ let man ſich noch vor, daß ihm das ganze weibliche Geſchlecht wie eine magiſche weit zuruͤckgewichne Ge¬ ſtalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an ihm geſchimmert, als ein erblaſſender Mond am Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte: ſo hat man ſich ſein ſchoͤnes ſchuldloſes Herz geoͤf¬ net, um darin außer einem großen fortarbeitenden Schmerzen tauſend ſympathetiſche Wuͤnſche fuͤr die bedauerte Fuͤrſtin zu erblicken. Trotz ihrer ſonderba¬ ren Miſchung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken, die er halb aus ſeiner heutigen Befliſſenheit, halb aus ſeinem ihr bisher ſo guͤnſtigen Einfluß auf den Fuͤrſten erklaͤren konnte und die ihm einen groͤßern
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laß darauf kein Spaß: ſondern man kann, indem
man eine Wunde macht, ſelber eine holen. Der
arme Hofmedikus muß mit ſeinem ſchwimmenden
freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die
Thraͤne der Liebe abgetrocknet wurde, kuͤhn in die
in eine Augenhoͤle geſperrte Sonne ſchauen und noch
obendrein ſanft mit dem Finger am warmen Geſicht
anliegen und aus der Quelle der Thraͤnen helles
Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine ſolche
Operation unternaͤhme, ſollte man eine an ſich voll¬
ziehen laſſen — der Kuͤhlung wegen. Im Grunde
hatte auch ihm das Schickſal dieſe Woche nichts ge¬
geben als Lanzetten-Schnitte in ſeine Aorte. Stel¬
let man ſich noch vor, daß ihm das ganze weibliche
Geſchlecht wie eine magiſche weit zuruͤckgewichne Ge¬
ſtalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an
ihm geſchimmert, als ein erblaſſender Mond am
Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte:
ſo hat man ſich ſein ſchoͤnes ſchuldloſes Herz geoͤf¬
net, um darin außer einem großen fortarbeitenden
Schmerzen tauſend ſympathetiſche Wuͤnſche fuͤr die
bedauerte Fuͤrſtin zu erblicken. Trotz ihrer ſonderba¬
ren Miſchung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit
glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken,
die er halb aus ſeiner heutigen Befliſſenheit, halb
aus ſeinem ihr bisher ſo guͤnſtigen Einfluß auf den
Fuͤrſten erklaͤren konnte und die ihm einen groͤßern
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/143>, abgerufen am 24.11.2024.
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