Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

laß darauf kein Spaß: sondern man kann, indem
man eine Wunde macht, selber eine holen. Der
arme Hofmedikus muß mit seinem schwimmenden
freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die
Thräne der Liebe abgetrocknet wurde, kühn in die
in eine Augenhöle gesperrte Sonne schauen und noch
obendrein sanft mit dem Finger am warmen Gesicht
anliegen und aus der Quelle der Thränen helles
Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine solche
Operation unternähme, sollte man eine an sich voll¬
ziehen lassen -- der Kühlung wegen. Im Grunde
hatte auch ihm das Schicksal diese Woche nichts ge¬
geben als Lanzetten-Schnitte in seine Aorte. Stel¬
let man sich noch vor, daß ihm das ganze weibliche
Geschlecht wie eine magische weit zurückgewichne Ge¬
stalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an
ihm geschimmert, als ein erblassender Mond am
Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte:
so hat man sich sein schönes schuldloses Herz geöf¬
net, um darin außer einem großen fortarbeitenden
Schmerzen tausend sympathetische Wünsche für die
bedauerte Fürstin zu erblicken. Trotz ihrer sonderba¬
ren Mischung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit
glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken,
die er halb aus seiner heutigen Beflissenheit, halb
aus seinem ihr bisher so günstigen Einfluß auf den
Fürsten erklären konnte und die ihm einen größern

laß darauf kein Spaß: ſondern man kann, indem
man eine Wunde macht, ſelber eine holen. Der
arme Hofmedikus muß mit ſeinem ſchwimmenden
freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die
Thraͤne der Liebe abgetrocknet wurde, kuͤhn in die
in eine Augenhoͤle geſperrte Sonne ſchauen und noch
obendrein ſanft mit dem Finger am warmen Geſicht
anliegen und aus der Quelle der Thraͤnen helles
Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine ſolche
Operation unternaͤhme, ſollte man eine an ſich voll¬
ziehen laſſen — der Kuͤhlung wegen. Im Grunde
hatte auch ihm das Schickſal dieſe Woche nichts ge¬
geben als Lanzetten-Schnitte in ſeine Aorte. Stel¬
let man ſich noch vor, daß ihm das ganze weibliche
Geſchlecht wie eine magiſche weit zuruͤckgewichne Ge¬
ſtalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an
ihm geſchimmert, als ein erblaſſender Mond am
Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte:
ſo hat man ſich ſein ſchoͤnes ſchuldloſes Herz geoͤf¬
net, um darin außer einem großen fortarbeitenden
Schmerzen tauſend ſympathetiſche Wuͤnſche fuͤr die
bedauerte Fuͤrſtin zu erblicken. Trotz ihrer ſonderba¬
ren Miſchung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit
glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken,
die er halb aus ſeiner heutigen Befliſſenheit, halb
aus ſeinem ihr bisher ſo guͤnſtigen Einfluß auf den
Fuͤrſten erklaͤren konnte und die ihm einen groͤßern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0143" n="133"/>
laß darauf kein Spaß: &#x017F;ondern man kann, indem<lb/>
man eine Wunde macht, &#x017F;elber eine holen. Der<lb/>
arme Hofmedikus muß mit &#x017F;einem &#x017F;chwimmenden<lb/>
freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die<lb/>
Thra&#x0364;ne der Liebe abgetrocknet wurde, ku&#x0364;hn in die<lb/>
in eine Augenho&#x0364;le ge&#x017F;perrte Sonne &#x017F;chauen und noch<lb/>
obendrein &#x017F;anft mit dem Finger am warmen Ge&#x017F;icht<lb/>
anliegen und aus der Quelle der Thra&#x0364;nen helles<lb/>
Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine &#x017F;olche<lb/>
Operation unterna&#x0364;hme, &#x017F;ollte man eine an &#x017F;ich voll¬<lb/>
ziehen la&#x017F;&#x017F;en &#x2014; der Ku&#x0364;hlung wegen. Im Grunde<lb/>
hatte auch ihm das Schick&#x017F;al die&#x017F;e Woche nichts ge¬<lb/>
geben als Lanzetten-Schnitte in &#x017F;eine Aorte. Stel¬<lb/>
let man &#x017F;ich noch vor, daß ihm das ganze weibliche<lb/>
Ge&#x017F;chlecht wie eine magi&#x017F;che weit zuru&#x0364;ckgewichne Ge¬<lb/>
&#x017F;talt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an<lb/>
ihm ge&#x017F;chimmert, als ein erbla&#x017F;&#x017F;ender Mond am<lb/>
Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte:<lb/>
&#x017F;o hat man &#x017F;ich &#x017F;ein &#x017F;cho&#x0364;nes &#x017F;chuldlo&#x017F;es Herz geo&#x0364;<lb/>
net, um darin außer einem großen fortarbeitenden<lb/>
Schmerzen tau&#x017F;end &#x017F;ympatheti&#x017F;che Wu&#x0364;n&#x017F;che fu&#x0364;r die<lb/>
bedauerte Fu&#x0364;r&#x017F;tin zu erblicken. Trotz ihrer &#x017F;onderba¬<lb/>
ren Mi&#x017F;chung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit<lb/>
glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken,<lb/>
die er halb aus &#x017F;einer heutigen Befli&#x017F;&#x017F;enheit, halb<lb/>
aus &#x017F;einem ihr bisher &#x017F;o gu&#x0364;n&#x017F;tigen Einfluß auf den<lb/>
Fu&#x0364;r&#x017F;ten erkla&#x0364;ren konnte und die ihm einen gro&#x0364;ßern<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0143] laß darauf kein Spaß: ſondern man kann, indem man eine Wunde macht, ſelber eine holen. Der arme Hofmedikus muß mit ſeinem ſchwimmenden freundlichen Auge, von dem vor wenigen Tagen die Thraͤne der Liebe abgetrocknet wurde, kuͤhn in die in eine Augenhoͤle geſperrte Sonne ſchauen und noch obendrein ſanft mit dem Finger am warmen Geſicht anliegen und aus der Quelle der Thraͤnen helles Blut vorritzen. . . . . Schon eh' man eine ſolche Operation unternaͤhme, ſollte man eine an ſich voll¬ ziehen laſſen — der Kuͤhlung wegen. Im Grunde hatte auch ihm das Schickſal dieſe Woche nichts ge¬ geben als Lanzetten-Schnitte in ſeine Aorte. Stel¬ let man ſich noch vor, daß ihm das ganze weibliche Geſchlecht wie eine magiſche weit zuruͤckgewichne Ge¬ ſtalt vorkam, die einmal in einem Traume nahe an ihm geſchimmert, als ein erblaſſender Mond am Tage, den er in einer lichten Nacht angebetet hatte: ſo hat man ſich ſein ſchoͤnes ſchuldloſes Herz geoͤf¬ net, um darin außer einem großen fortarbeitenden Schmerzen tauſend ſympathetiſche Wuͤnſche fuͤr die bedauerte Fuͤrſtin zu erblicken. Trotz ihrer ſonderba¬ ren Miſchung von Stolz, Lebhaftigkeit und Feinheit glaubte er doch in ihr eine Aenderung zu entdecken, die er halb aus ſeiner heutigen Befliſſenheit, halb aus ſeinem ihr bisher ſo guͤnſtigen Einfluß auf den Fuͤrſten erklaͤren konnte und die ihm einen groͤßern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/143
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/143>, abgerufen am 24.11.2024.