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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

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Liebhaber gewesen, wenn er gewußt hätte, was
er haben wollen; denn sonst hätt' er von Klotilden,
sogar im Falle ihrer Liebe gegen ihn, keine ausseror¬
dentliche Wärme gegen einen Medikus begehren kön¬
nen, den ihr die Eltern aufzwangen (welches einem
Manne noch mehr schadet als Häßlichkeit) der so
unhöflich ohne ein Geburrstags-Karmen aus dem
Garten fortjagte, und der sie in die sieben vergolde¬
ten Thürme des Hofdienstes, trotz ihrem Widerwil¬
len, trotz allem Anschein ihres künftigen Gefäng¬
nißfiebers
hineinschob. -- Aber für das ofne
Lehn
seines Herzens war eben dieser Aerger ge¬
sund. . . .

Wenn mein guter Leser einmal von einer zu
theuern Freundin einen ewigen Abschied zu nehmen
hat: so nehm' er ihn zweimal -- Der erste ver¬
steht sich ohnehin, wo er in der Trunkenheit des
Schmerzes, im Blutsturz des Herzens und der Augen
erliegt und wo das geliebte Bild sich mit Flammen
in die weiche Seele brennt; aber dann wird er die
Abgeschiedne nie vergessen können -- Daher muß er
einen zweiten nehmen, der schon darum kälter ist,
weil heftige Empfindungen kein dal segno der Wie¬
derholung leiden, oder muß (wenn er am allerge¬
scheutesten seyn will) sie nach dem tragischen Ab¬
schied an einem öffentlichen Platze, (z. B. bei einer
Krönung) wo sie kalt scheinen muß, zu sehen suchen

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Liebhaber geweſen, wenn er gewußt haͤtte, was
er haben wollen; denn ſonſt haͤtt' er von Klotilden,
ſogar im Falle ihrer Liebe gegen ihn, keine auſſeror¬
dentliche Waͤrme gegen einen Medikus begehren koͤn¬
nen, den ihr die Eltern aufzwangen (welches einem
Manne noch mehr ſchadet als Haͤßlichkeit) der ſo
unhoͤflich ohne ein Geburrstags-Karmen aus dem
Garten fortjagte, und der ſie in die ſieben vergolde¬
ten Thuͤrme des Hofdienſtes, trotz ihrem Widerwil¬
len, trotz allem Anſchein ihres kuͤnftigen Gefaͤng¬
nißfiebers
hineinſchob. — Aber fuͤr das ofne
Lehn
ſeines Herzens war eben dieſer Aerger ge¬
ſund. . . .

Wenn mein guter Leſer einmal von einer zu
theuern Freundin einen ewigen Abſchied zu nehmen
hat: ſo nehm' er ihn zweimal — Der erſte ver¬
ſteht ſich ohnehin, wo er in der Trunkenheit des
Schmerzes, im Blutſturz des Herzens und der Augen
erliegt und wo das geliebte Bild ſich mit Flammen
in die weiche Seele brennt; aber dann wird er die
Abgeſchiedne nie vergeſſen koͤnnen — Daher muß er
einen zweiten nehmen, der ſchon darum kaͤlter iſt,
weil heftige Empfindungen kein dal segno der Wie¬
derholung leiden, oder muß (wenn er am allerge¬
ſcheuteſten ſeyn will) ſie nach dem tragiſchen Ab¬
ſchied an einem oͤffentlichen Platze, (z. B. bei einer
Kroͤnung) wo ſie kalt ſcheinen muß, zu ſehen ſuchen

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[115/0125] Liebhaber geweſen, wenn er gewußt haͤtte, was er haben wollen; denn ſonſt haͤtt' er von Klotilden, ſogar im Falle ihrer Liebe gegen ihn, keine auſſeror¬ dentliche Waͤrme gegen einen Medikus begehren koͤn¬ nen, den ihr die Eltern aufzwangen (welches einem Manne noch mehr ſchadet als Haͤßlichkeit) der ſo unhoͤflich ohne ein Geburrstags-Karmen aus dem Garten fortjagte, und der ſie in die ſieben vergolde¬ ten Thuͤrme des Hofdienſtes, trotz ihrem Widerwil¬ len, trotz allem Anſchein ihres kuͤnftigen Gefaͤng¬ nißfiebers hineinſchob. — Aber fuͤr das ofne Lehn ſeines Herzens war eben dieſer Aerger ge¬ ſund. . . . Wenn mein guter Leſer einmal von einer zu theuern Freundin einen ewigen Abſchied zu nehmen hat: ſo nehm' er ihn zweimal — Der erſte ver¬ ſteht ſich ohnehin, wo er in der Trunkenheit des Schmerzes, im Blutſturz des Herzens und der Augen erliegt und wo das geliebte Bild ſich mit Flammen in die weiche Seele brennt; aber dann wird er die Abgeſchiedne nie vergeſſen koͤnnen — Daher muß er einen zweiten nehmen, der ſchon darum kaͤlter iſt, weil heftige Empfindungen kein dal segno der Wie¬ derholung leiden, oder muß (wenn er am allerge¬ ſcheuteſten ſeyn will) ſie nach dem tragiſchen Ab¬ ſchied an einem oͤffentlichen Platze, (z. B. bei einer Kroͤnung) wo ſie kalt ſcheinen muß, zu ſehen ſuchen H 2

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/125>, abgerufen am 04.05.2024.